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  • Der Vagusnerv – unser Schlüssel zum Loslassen

    Der Vagusnerv – unser Schlüssel zum Loslassen

    Wie und warum Yoga uns dabei hilft, Stress abzubauen und uns wieder mehr in unserer Mitte zu fühlen.

    Yoga findet sich in Fitnessstudios, Sportvereinen und soll zumindest nach einer internationalen Petition sogar olympische Disziplin werden. Allerdings ist Yoga nach dem traditionellen Ansatz (z.B. nach Patañjali) kein Sport, sondern ein Zustand, in dem der Geist zur Ruhe kommt:

    योगश्चित्तवृत्तिनिरोधः॥२॥

    yogaścittavṛttinirodhaḥ||2||

    Es ist gar nicht so einfach, den Geist zur Ruhe zu bringen und einen Bewusstseinszustand zu erreichen, in dem man nicht mehr getrieben von Impulsen und Reizen ist, sondern Erfahrungen wie Freude, Schmerz, Begeisterung oder Ablehnung mit Gleichmut gegenübersteht. Das bemerken die meisten, die mit einer Meditationspraxis beginnen.

    Der sogenannte „Monkey-Mind“ (wie der unruhige Geist metaphorisch im Zen-Buddhismus beschrieben wird) springt wild durch die Gegend und füttert uns mit Geschichten über uns selbst; davon, was wir mögen und was wir meiden wollen, was unser Körper können sollte, und was er nicht kann.

    Unser Geist will immer beschäftigt sein

    Sowohl in der spirituellen als auch in der psychologischen Literatur wird häufig diskutiert, dass der menschliche Geist dazu tendiert, ständig aktiv zu sein – sei es durch Denken, Planen, Grübeln oder Reagieren auf äußere Reize.

    Der Geist ist evolutionär darauf ausgelegt, ständig nach Bedrohungen, Nahrung oder sozialen Verbindungen zu scannen. Diese Hyperaktivität war in der Vergangenheit überlebenswichtig, da sie half, Gefahren zu antizipieren. Heute, in einer weniger bedrohlichen Umwelt, bleibt der Geist dennoch in diesem „Problemlösungsmodus“. Neuropsychologen wie Rick Hanson (Buddha’s Brain, 2009) argumentieren, dass das Gehirn einen „Negativitätsbias“ hat, der es dazu treibt, sich mit potenziellen Problemen zu beschäftigen.

    Das Gehirn verbraucht etwa 20–25 % der Körperenergie, auch im Ruhezustand (Clark & Sokoloff, 1999, Neurochemistry). Diese hohe Aktivität deutet darauf hin, dass der Geist „entworfen“ ist, um ständig zu arbeiten, sei es durch bewusste Gedanken oder unbewusste Prozesse.

    Die moderne Neuroforschung zeigt, dass das Gehirn, wenn es nicht aktiv an einer Aufgabe arbeitet, in ein sogenanntes „Default Mode Network“ (DMN) wechselt. Dieses Netzwerk, das Regionen wie den präfrontalen Kortex und den posterioren cingulären Kortex umfasst, ist aktiv, wenn wir Tagträumen, über die Vergangenheit nachdenken oder Zukunftspläne schmieden. Studien (z. B. Raichle et al., 2001, Proceedings of the National Academy of Sciences) zeigen, dass das DMN dafür sorgt, dass der Geist selten „still“ ist, da es automatisch Narrative, Erinnerungen oder Sorgen produziert.

    Weshalb ein Monkey-Mind auch Ruhe braucht

    Die ständige Beschäftigung unseres Geistes kann jedoch erschöpfend sein – und uns davon ablenken, wer wir wirklich sind.

    Die Geschichten, die unser Geist ohne Unterlass produziert, sind nämlich nur das: Geschichten. Auch wenn wir sie für Wahrheiten unseres Selbst halten („die innere Stimme“), sind die meisten unserer Gedanken bloße Wiederholungen und Prägungen von außen. Unsere Gedanken wiederholen sich, weil das Gehirn auf Effizienz, Vertrautheit und soziale Anpassung ausgelegt ist.

    Viele unserer Gedanken stammen aus externen Quellen wie Familie, Kultur oder Medien und sind aufgrund des Negativitätsbias unseres Gehirns, eher negativ, da Kritik und negative Erfahrungen uns wesentlich stärker prägen. Daraus kann in vielen Fällen eine insgesamt eher negative Selbstwahrnehmung erwachsen („ich bin nicht genug“).

    Ansätze wie Achtsamkeit, Meditation oder neue Erfahrungen können helfen, diese negativen Gedanken-Muster zu durchbrechen und den Geist bewusster zu lenken.

    Heilmittel des Yoga

    Zunächst kann die körperbetonte Asanapraxis, wenngleich diese nach dem Yogasutra (Patañjali) nicht dem entsprach, was wir heute darunter verstehen, uns aus dem Kopf in den Körper holen. Allein durch die Konzentration auf die Ausrichtung unseres Körpers und die Bewegung wird der Geist beschäftigt gehalten und lässt von seinem inneren Gedankenkarussel ab.

    Zudem wird in der Yogapraxis der Atem beobachtet und gegebenenfalls gelenkt (Pranayama). Auch dies führt unweigerlich zu einer Fokussierung des Geistes auf den Körper. Zumindest kurzzeitig wird er somit regelrecht gezwungen, von seinen Geschichten abzulassen. Noch viel wesentlicher ist aber seine physische Wirkung durch das Zusammenspiel von Atem und vegetativem Nervensystem.

    Schließlich ist auch die Meditation ein wesentlicher Bestandteil von Yoga. Studien (z. B. Brewer et al., 2011, PNAS) zeigen, dass Meditation die Aktivität des DMN senkt und die Identifikation mit automatischen Gedanken verringert. Techniken wie das Beobachten von Gedanken ohne Urteil helfen, Prägungen zu erkennen.

    An dieser Stelle setzt auch die Yoga-Philosophie an, die mit unterschiedlichsten Konzepten den Menschen von dem Nicht-Wissen und den falschen Gedankenmustern lösen möchte.

    Der Vagus-Nerv für Selbstheilung

    Wir Menschen verfügen über ein vegetatives Nervensystem, auch als autonomes Nervensystem bezeichnet, weil es sich der Kontrolle unseres Bewusstseins entzieht und zur Regelung unserer inneren Organe mit ihnen verbunden ist.

    Nach der historischen Interpretation umfasst das autonome Nervensystem zwei Hauptbahnen, den Sympathikus und den Parasympathikus, die gegensätzliche Wirkungen haben. Während der Sympathikus durch eine Steigerung unserer Leistungsfähigkeit (Puls, Durchblutung, Atemfrequenz und Muskelaktivität) in Stresssituationen (Fight of Flight) unser Überleben sichern sollte, dominiert der Parasympathikus in Ruhe (Rest and Digest).

    Die Polyvagal-Theorie, entwickelt von Dr. Stephen Porges (interessant hierzu auch: Stanley Rosenberg: Der Selbstheiliungsnerv), ist ein neueres Modell, das erklärt, wie das autonome Nervensystem (ANS) auf Umweltreize reagiert und unser Verhalten, unsere Emotionen und sozialen Interaktionen beeinflusst. Sie betont die Rolle des Vagusnervs, eines zentralen Bestandteils des parasympathischen Nervensystems, und beschreibt, wie er in unterschiedlichen Zuständen unser Überleben, unsere Bindung und unsere Reaktionen steuert.

    Nach der Polyvagal-Theorie hat der Vagusnerv nicht nur einen Strang, sondern zwei Stränge (ventral und dorsal), woraus sich nicht nur zwei, sondern drei neuronale Schaltkreise des autonomen Nervensystems ergeben:

    Die Aktivierung oder Deaktivierung dieser Schaltkreise bestimmt, wie wir auf Sicherheit oder Gefahr reagieren:

    • Ventraler Vagus-Strang: Soziale Zugewandtheit
      • Zustand: Aktiviert in Situationen von Sicherheit und Vertrauen.
      • Funktion: Fördert soziale Interaktionen, Bindung, Ruhe und Erholung. Dieser Zustand ist mit dem myelinierten (schnellen) Teil des Vagusnervs verbunden, der Herzfrequenz und Gesichtsausdruck reguliert.
      • Beispiel: Wenn du dich bei einem Freund entspannst, lächelst oder ruhig atmest, bist du in diesem Zustand.
      • Körperliche Merkmale: Normale Herzfrequenz, entspannte Muskulatur, offene Körpersprache.
    • Grenzstrang des Sympathikus: Mobilisierung durch Angst
      • Zustand: Aktiviert bei wahrgenommener Bedrohung, wenn soziale Bindung nicht möglich ist.
      • Funktion: Bereitet den Körper auf Kampf oder Flucht vor, indem es Adrenalin freisetzt und die Herzfrequenz erhöht.
      • Beispiel: Du fühlst dich gestresst in einer Konfliktsituation oder rennst weg, wenn du Gefahr spürst.
      • Körperliche Merkmale: Schneller Herzschlag, Anspannung, erhöhte Atmung.
    • Dorsaler Vagus-Strang: Immobilisierung durch Angst
      • Zustand: Aktiviert bei extremer Bedrohung, wenn Kampf oder Flucht nicht möglich sind.
      • Funktion: Führt zu einem „Abschalten“ oder Einfrieren (Freeze), um zu überleben. Dieser Zustand ist mit dem unmyelinierten (älteren) Teil des Vagusnervs verbunden und kann zu Dissoziation oder Kollaps führen.
      • Beispiel: Ohnmachtsgefühl bei überwältigendem Stress oder Rückzug bei Trauma.
      • Körperliche Merkmale: Niedrige Herzfrequenz, flache Atmung, Gefühl der Lähmung.
    • Hybridkreisläufe
      • Mobilisierung ohne Angst, z.B. bei sportlichen (freundschaftlichen) Wettkämpfen: hier sind Sympathikus und ventrales Vagus-Strang aktiv.
      • Immobilisierung ohne Angst, z.B. beim Kuscheln: hier sind dorsaler Vagus-Strang und zentraler Vagus-Strang aktiv.

    Stress hat mehrere Ausprägungen

    In unserer heutigen Zeit begegnen uns nur noch selten extreme Gefahren, wie eine Begegnung mit für uns tödlichen Raubtieren. Allerdings führt unser Lebenswandel mit ständigen einwirkenden Reizen, Zeitdruck und Überlastung, dazu, dass viele Menschen in einem ständigen Stresszustand verbleiben. Oft ist dabei der Sympathikus aktiviert. Bekannt ist, dass eine chronische Aktivierung des sympathischen Grenzstrangs sowohl der körperlichen und seelischen Gesundheit sowie den sozialen Beziehungen nicht gut tut.

    Aus der Polyvagal-Theorie lässt sich nachvollziehbar ableiten, dass Stress nicht nur eine Aktivierung des Sympathikus zur Folge haben kann, sondern auch eine Aktivierung eines Teils des Parasymphatikus, nämlich des dorsalen Vagus-Strangs, der parasympathische Funktionen ausübt, wie die Verlangsamung der Herzfrequenz oder die Reduktion der Stoffwechselaktivität.

    Evolutionsbiologisch hatte diese Aktivierung des dorsalen Vagus-Strangs die Funktion des „Todstellens“ oder vollkommenen Erstarren, wie man das noch heute bei Beutetieren beobachten kann. Im Idealfall wird dieser Zustand wieder beendet, sobald die Gefahr vorüber ist.

    In der Psychotherapie, insbesondere in der Traumabehandlung, wird zunehmend eine chronische Aktivierung des dorsalen Vagus beobachtet. Typischerweise führt eine lebensbedrohliche Stress-Situation oder traumatischer Stress (Schockzustand), aber auch überwältigender psychischer Stress zu einer Aktivierung des dorsalen Vagus-Strang. Menschen können jedoch in einem chronischen dorsalen vagalen Zustand „steckenbleiben“, was sich in Symptomen wie Dissoziation, Lethargie oder emotionaler Taubheit, aber auch in erhöhtem oder verringertem Appetit, Schlaflosigkeit, geringerem Energiepegel und Konzentrationsschwierigkeiten ausdrücken kann.

    Raus aus der Stressfalle

    Die drei Schaltkreise des autonomen Nervensystems sind hierarchisch organisiert, basierend auf der evolutionären Entwicklung. Ist der jüngste der Schaltkreise, der ventrale Vagus-Strang, aktiviert, hemmt er die beiden anderen.

    Aus diesem Grund ist eine Aktivierung des vorderen ventralen Vagus-Strang essentiell, um den dorsalen Vagus zu entlasten und das Nervensystem zu regulieren .

    Stimulation des ventralen Vagus mit Yoga

    Im Yoga gibt es zahlreiche Übungen, die direkt oder indirekt auf den vorderen (ventralen) Vagus-Strang zielen:

    Der ventrale Vagus-Strang ist mit myelinierten Nervenfasern verbunden, die Herzfrequenz, Atmung und Gesichtsausdruck in sicheren, sozialen Kontexten regulieren. Yoga aktiviert und stärkt diesen Strang durch :

    Atemregulation (Pranayama aber auch das Singen von Mantren)

    • Wirkung: Langsame, tiefe und rhythmische Atemtechniken, wie sie im Yoga üblich sind (z. B. Ujjayi, Bauchatmung), erhöhen die Herzfrequenzvariabilität (HRV). HRV ist ein Indikator für die Aktivität des ventralen Vagus, da dieser die Herzfrequenz flexibel anpasst. Weiterhin entstehen dabei Vibrationen, die den Vagusnerv mechanisch direkt stimulieren.
    • Mechanismus: Tiefe Atmung stimuliert Barorezeptoren im Herzen und in den Blutgefäßen, die Signale an den ventralen Vagus senden, um die Herzfrequenz zu verlangsamen und Ruhe zu fördern. Dies signalisiert dem Nervensystem Sicherheit, was die Neurozeption (unbewusste Wahrnehmung von Sicherheit) stärkt.
    • Studien: Eine Studie von Brown & Gerbarg (2005, Journal of Alternative and Complementary Medicine) zeigte, dass yogische Atemtechniken die HRV signifikant erhöhen und Stress reduzieren, was auf eine Aktivierung des ventralen Vagus hinweist. Eine weitere Studie (Telles et al., 2016, International Journal of Yoga) fand, dass Pranayama die parasympathische Aktivität steigert, was direkt mit dem ventralen Vagus verbunden ist.

    Körperliche Bewegung (Asanas)

    • Wirkung: Sanfte, achtsame Bewegungen in Yoga-Asanas fördern die Propriozeption (Wahrnehmung des Körpers im Raum) und lösen muskuläre Spannungen, die mit sympathischer Aktivierung (Kampf/Flucht) verbunden sind. Zudem kann durch Beugung und Streckung der Halswirbelsäule mechanischer Druck eine Ausweitung der Halsschlagader erreichen. Dies wiederum wird vom Körper als Signal für gesteigerten Blutdruck interpretiert und in Reaktion hierauf der ventrale Vagus-Strang aktiviert.
    • Mechanismus: Durch die Verbindung von Bewegung und Atmung wird das Nervensystem aus einem sympathischen oder dorsalen vagalen Zustand (Stress oder Abschalten) in den ventralen vagalen Zustand (Sicherheit und Bindung) versetzt. Asanas wie Vorbeugen oder restorative Haltungen stimulieren den Parasympathikus, insbesondere den ventralen Vagus.
    • Studien: Streeter et al. (2012, Medical Hypotheses) schlugen ein Modell vor, bei dem Yoga die GABA-Neurotransmitter-Spiegel erhöht, was Stress reduziert und den ventralen Vagus aktiviert. Eine Studie von West et al. (2004, Journal of Bodywork and Movement Therapies) zeigte, dass Yoga-Posen die HRV verbessern, ein Zeichen für ventrale vagale Aktivität.

    Achtsamkeit und Meditation

    • Wirkung: Achtsamkeitsbasierte Elemente im Yoga, wie Meditation oder Fokus auf den gegenwärtigen Moment, beruhigen das limbische System (z. B. Amygdala), das bei Stress überaktiv ist.
    • Mechanismus: Durch Achtsamkeit wird die Neurozeption von Sicherheit verstärkt, was den ventralen Vagus aktiviert. Dies fördert soziale Bindung und emotionale Regulation, da der ventrale Vagus mit Gesichtsausdruck und Stimmmodulation verbunden ist (z. B. ruhigere Stimme, entspannter Gesichtsausdruck).
    • Studien: Eine Meta-Analyse von Pascoe et al. (2017, Journal of Psychiatric Research) fand, dass Yoga und Meditation die Cortisolspiegel senken und die parasympathische Aktivität erhöhen, was die Funktion des ventralen Vagus unterstützt. Des Weiteren zeigte Gard et al. (2012, Frontiers in Immunology) , dass Yoga die Aktivität des Default Mode Network (DMN) reduziert, was die emotionale Regulation durch den ventralen Vagus erleichtert.

    Soziale und sensorische Sicherheit

    • Wirkung: Yoga wird oft in Gruppen oder unter Anleitung praktiziert, was soziale Signale von Sicherheit (z. B. sanfte Stimme des Lehrers, Gemeinschaftsgefühl) vermittelt.
    • Mechanismus: Der ventrale Vagus ist besonders empfänglich für soziale Reize wie Augenkontakt, freundliche Stimmlage oder rhythmische Klänge (z. B. „Om“-Chanting). Diese Reize signalisieren dem Nervensystem Sicherheit, was die Aktivität des ventralen Vagus verstärkt.
    • Studien: Eine Studie von Sullivan et al. (2018, Frontiers in Human Neuroscience) zeigte, dass Yoga in Gruppen die Oxytocinspiegel erhöht, ein Hormon, das mit sozialer Bindung und ventraler vagaler Aktivität assoziiert ist.

    Yoga und Vagus – Verbündete gegen Stress

    Nicht nur während der Yogapraxis, sondern auch danach lassen sich die positiven Wirkungen von Yoga auf den subjektiv empfundenen Stress bzw. einen Zustand von Entspannung beobachten.

    Sanfte bzw. ruhige Yoga-Stile wie Hatha, Yin oder Restorative Yoga sind besonders effektiv, um den ventralen Vagus zu aktivieren, da sie auf Entspannung und Achtsamkeit fokussieren. Vinyasa oder Power Yoga können ebenfalls wirksam sein, wenn sie mit Atemfokus kombiniert werden, können aber bei übermäßiger Intensität den Sympathikus stimulieren.

    Auch ist ein Rahmen oder Raum, in dem man sicher bei der Yogapraxis sicher und geborgen fühlt, wichtig, um die positiven Effekte einer Yogapraxis genießen zu können.

    Studien zeigen, dass eine regelmäßige Praxis (z. B. 20–60 Minuten, 2–3x wöchentlich) die langfristige Regulation des ventralen Vagus verbessert, insbesondere bei Stress oder Trauma.

    Auch Menschen mit dorsaler vagaler Überaktivität (z. B. Dissoziation) kann Yoga helfen, den ventralen Vagus zu reaktivieren, indem Sicherheit und Körperbewusstsein gefördert werden. In Fällen einer bekannten schweren Traumatisierung ist aber die Begleitung durch einen Therapeuten unbedingt zu empfehlen, da Yoga kein Allheilmittel darstellt.

    Fazit

    Egal, ob Du Dich in Deiner Praxis auf Deine körperliche Ausrichtung fokussierst, oder auch weitere Bestandteile wie Pranayama, Mastern und Meditation in Deine Yogapraxis einbaust, kann Dir Deine achtsame Praxis dabei helfen, den vorderen Vagus-Strang zu aktivieren und damit auch chronische Stresszustände zu überwinden.

    In meiner Praxis wende ich ergänzend auch Übungen von Stanley Rosenberg an, um das autonome Nervensystem zu regulieren. Bei Interesse schau doch einfach mal vorbei: MINIM YOGA.

  • Loslassen und Unterstützen – im Yoga, im Leben

    Loslassen und Unterstützen – im Yoga, im Leben

    Wir müssen nicht nur im Leben, sondern auch im Yoga lernen loszulassen. Viele unserer Erfahrungen lassen sich von der Matte auf unser Leben übertragen. Im Falle von traumatischen Erlebnissen und Verlusten ist die Unterstützung durch geschulte Begleitung wichtig. Zudem kann man die leidvollen Erfahrungen möglicherweise nicht loslassen, aber vielleicht transformieren.

    „Leben ist Leiden“Der Buddha

    Zunächst ist das Zitat eine bekannte, sehr verkürzte Darstellung der Lehre des Buddha, Siddhartha Gautama.

    Nach der ersten der vier edlen Wahrheiten des Buddha ist das Leben in seiner essentiellen Natur Dukkha . Es ist voller Schmerz, Krankheit, Altern und Tod (Dukha steht für Leiden, aber auch für das Gefühl von Unvollkommenheit).  Und selbst in unseren Momenten der Freude ist Dukkha präsent, da kein Glück ewig währt und der Verlust des Glücks wiederum Leid verursacht.

    Das klingt zunächst nicht sehr optimistisch, bringt aber letztlich nur auf den Punkt, was die meisten von uns beobachten:

    Leid ist ein unvermeidbarer Teil des Lebens.

    In der zweiten edlen Wahrheit erfahren wir, woher das Leid rührt, nämlich aus unseren Begierden und Anhaftungen. Unsere Unfähigkeit, loszulassen und die Vergänglichkeit aller Dinge anzunehmen, führt zu Leiden.

    Indem wir also lernen, unser Leben und uns selbst so anzunehmen wie es ist bzw. wir sind, und nicht mehr an Vorstellungen und Erwartungen festzuhalten, können wir uns von diesem Leid befreien (dritte edle Wahrheit des Buddha). Einen möglichen Weg zeigt der Buddha in seiner vierten edlen Wahrheit: den edlen achtfachen Pfad.

    Wer sich hier vielleicht in Kenntnis der Yogaphilosphie, beispielsweise an die Yoga-Sutras nach Patanjali erinnert fühlt, liegt nicht falsch. Siddhartha Gautama, der historische Buddha, lebte im 6. oder 5. Jahrhundert v. Chr. und entwickelte den Buddhismus, während Yoga-Philosophie und -Praktiken in Texten wie den Upanishaden und den Yoga-Sutras von Patanjali, die etwa zeitgleich oder etwas später entstanden sind, dokumentiert wurden.

    Loslassen im Yoga

    Viele philosophische und praktische Ansätze des Yoga haben daher das primäre Ziel des Loslassens als Weg aus dem Leid des Lebens. Für uns praktisch umgesetzt kann ein erster Schritt darin bestehen, in unserer Praxis auf der Matte das Loslassen zu üben.

    Loslassen in eine Asana, loslassen in der Meditation, loslassen im Pranayama. Dabei ist es – wie im Leben – ein Prozess, nicht einfach unangenehme Empfindungen zu verdrängen, sondern in dem Moment zu bleiben und dabei „nur“ zu sein. Oft neigen wir dazu, alles zu bewerten und zu durchdenken.

    „Der Muskel zieht“, „ich will nicht mehr, das ist zu anstrengend“, „wie lang geht das noch?“ – Das alles sind Gedanken und Bewertungen, die uns in der unserer Praxis auf der Matte begegnen. Statt zu bewerten, können wir das Ziehen im Muskel, die Anstrengung in einer Asana, das Zwicken im Sitzen, aber auch annehmen, beobachten, darin „sein“.

    Indem wir die Situation lernen zu akzeptieren, lassen wir die Erwartung, dass es anders sein sollte, los. Diese Art des Loslassens verbunden mit Akzeptanz des IST-Zustands, können wir von der Matte in unser Leben mitnehmen.

    Traumatische Erlebnisse und Trauer

    Ich möchte hier betonen, dass traumatische Erlebnisse also überwältigende Erfahrungen, die mit extremen Gefühlen von Ohnmacht und Hilflosigkeit einhergehen, hiervon zunächst auszunehmen sind. Dazu zählen nicht nur offensichtliche Extremsituationen wie Krieg, Folter oder sexueller Missbrauch, sondern auch andere belastende Ereignisse wie schwere Unfälle, Naturkatastrophen oder psychische Gewalt. Ein traumatisches Erlebnis kann eine schockierende, beängstigende oder gefährliche Erfahrung sein, die eine Person emotional stark beeinflusst.

    Im Fall von traumatischen Erlebnissen und Verlusten ist die Begleitung durch geschulte Begleiter, in Form von Therapeuten und ggf. Lehrer, die traumsensibles Yoga anbieten, hilfreich.

    Auch der Verlust eines geliebten Menschen kann ein solches traumatisches Erlebnis darstellen. Jeder der dies schon durchlebt hat, weiß wie schwer es fällt, loszulassen. Unabhängig davon, wer dieser Mensch für einen selbst war, bleibt nach dem Verlust die Liebe für ihn ohne greifbares Ziel. Und daraus entsteht das Gefühl der intensiven Traurigkeit.

    Aber kann und soll man diese ziellos gewordene Liebe einfach loslassen? Und was können wir im Yoga lernen, um mit Verlust umzugehen?

    Sternenkinder – ein besonderer Verlust

    Häufiger als unsere Gesellschaft erahnen lässt ist der Verlust eines Kindes. Insbesondere über die sogenannten Sternenkinder, d.h. Kinder, die vor, während oder kurz nach der Geburt sterben, wird nicht oder wenig gesprochen. Umso schwieriger ist es für Eltern und Familienangehörige die damit einhergehende Trauer zu verarbeiten.

    Als wir unseren Sohn in den letzten Wochen der Schwangerschaft verloren haben, waren wir sowohl unmittelbar mit dem schmerzhaften Tod unsere Kindes, aber auch mit der Einsamkeit in der Trauer konfrontiert. Gerade der Weg nach diesem Verlust war für uns als Familie unglaublich schwer, weil unsere Gesellschaft mit dieser Art von Trauer nicht (mehr) umgehen kann.

    Unterstützung für Betroffene

    Glücklicherweise sind uns viele wunderbare Menschen begegnet, Bekannte im direkten Umfeld aber auch bis dato Unbekannte, die uns unterstützt haben. Indem sie zugehört haben und indem sie uns unsere Erfahrung haben teilen lassen.

    Eine große Unterstützung kam zudem von Organisationen, wie in München den Verwaisten Eltern und der Beratungsstelle für Natürliche Geburt und Elternsein e.V.. Letztere bietet u.a. einen Rückbildungskurs für Mütter, die vor, in oder kurz nach der Geburt ihre Kinder gehen lassen mussten.

    Ohne Menschen, die bereit sind, anderen in schweren Momenten beiseite zu stehen, ist jede Art der Trauer überwältigend.

    Lass doch einfach los?

    In der Trauer bekommt man manchmal von Freunden und Familienmitgliedern den eigentlich gut gemeinten Rat zu hören, man müsse den geliebten Menschen oder die Trauer um ihn loslassen.

    Ich selbst habe diesen Rat nicht gut aufgenommen und möchte ihn auch nicht in dieser Weise weiter geben.

    Was ich aber gelernt habe, ist, dass auch aus der Trauer mit der Zeit etwas schönes wachsen kann, nämlich der Wunsch, andere zu unterstützen.

    Transformation von Leid und Trauer

    Neben dem Loslassen von Anhaftungen kann beispielsweise die Liebe für jemanden (als Ursache der Trauer) transformiert werden: in Unterstützung.

    Unterstützung lässt sich auf wundervolle Weise für jeden in irgendeiner Form umsetzen, wenn man soweit ist, sie zu geben. Sei es in einer vergleichbaren Situation anderen Familien zur Seite zu stehen, sei es finanziell durch Spenden oder auf andere Weise. So kann man beispielsweise Tabuthemen wie Kindsverlust in die Öffentlichkeit tragen, um diese wieder zu enttabuisieren.

    Egal wie man dies umsetzen möchte und wieviel Zeit vergeht, ehe man sich dazu bereit fühlt, können belastende Gefühle und Gedanken in etwas – auch für einen selbst – Positives umgewandelt werden.

    Für mich wurde durch die Transformation ein Loslassen der negativen Gefühle im Zusammenhang mit dem Tod unseres Sohnes möglich. Und ich konnte so an dem Schönen festhalten, nämlich dass es ihn gegeben hat.

    „Loslassen ist nicht das Ende des Weges; es ist der Beginn der wahren Freiheit.“Paramahansa Yogananda

    Geben und Spenden

    Man muss nicht betroffen sein, um zu unterstützen.

    Sich damit auseinander zu setzen, dass Krankheit, Tod und Trauer Teile unseres Lebens sind und damit jeden früher oder später betreffen, ist aus meiner Sicht ein erster Schritt. Denn ich habe manchmal den Eindruck, dass wir Tod und Krankheit in unserer Gesellschaft am liebsten verstecken, vergessen und totschweigen möchten. Natürlich ändert das aber nichts am natürlichen Lauf der Dinge.

    Wenn wir uns hingegen wieder eingestehen, dass diese Teile genauso zu uns und unserem Leben gehören wie Freude, Gesundheit und Leben, dann können wir auch für andere da sein. Zuhören. Nicht wegschauen oder uns wegducken, sondern aushalten und bleiben. Auf diese Weise müssen sich Betroffene in ihrer Trauer nicht wie Aussätzige fühlen.

    Auch können wir Organisationen, die diese Aufgabe professionell übernehmen mit unserer Zeit und/oder unserem Geld unterstützen.

    Die Leere Wiege

    MINIM YOGA unterstützt insbesondere die Leere Wiege, den Rückbildungskurs der Beratungsstelle für Natürliche Geburt und Elternsein e.V. in München.

    Leider sieht die Finanzierung des sozialen Bereichs in ganz Deutschland in den kommenden Jahren nicht rosig aus. Die Zuschüsse steigen nicht in gleichem Maße wie die Kosten, Einsparpotentiale sind in einem Bereich, der immer schon sehr sparsam mit öffentlichen Geldern umgehen musste, kaum vorhanden, Defizite wachsen weiter.

    Für die Beratungsstelle für Natürliche Geburt und Elternsein e.V. bedeuten die Kürzungen konkret, dass allein im Jahr 2025 mindestens weitere 20.000 € für die Beratungs- und Kursangebote fehlen, die nur durch Spendengelder aufgefüllt werden können. Besonders regelmäßige Spenden sind für Organisation wie diese eine große Hilfe (Spendenportal der Beratungsstelle für Natürliche Geburt und Elternsein e.V.).

    Geben in der Yoga-Philosophie

    Unzählige Begriffe und Konzepte in der Yogaphilosophie, insbesondere in den alten Texten wie der Bhagavad Gita oder den „Yoga Sutras“ von Patanjali beschrieben, belegen eine tiefe und nuancierte Perspektive des Yoga zum Thema Geben oder Dharma (Pflicht, moralisches Handeln).

    Beispiele gefällig? Hier sind sie:

    Seva

    Eine der wichtigsten Praktiken im Yoga ist Seva, das bedeutet, selbstlosen Dienst zu leisten (Bhakti Yoga). Dies wird als Weg gesehen, um das Ego zu transzendieren und die Verbindung mit allen Lebewesen zu fördern. Durch das Geben ohne Erwartung einer Gegenleistung entwickelt man Mitgefühl und Liebe.

    Karma Yoga

    Einer der vier Hauptwege des Yoga ist Karma Yoga, der Weg der selbstlosen Handlung. Hierbei wird betont, dass Handlungen (inklusive das Geben) ohne Anhaftung an die Ergebnisse durchgeführt werden sollen. Das Ziel ist es, sich von den Ketten des Karma zu befreien, indem man handelt, um zu dienen, nicht um zu erlangen.

    Ahimsa

    Ahimsa bezeichnet eines der Yamas (moralischen Gebote) in der Yogaphilosophie nach Patanjali, und es ermutigt zu einer Haltung des Gebens durch Nicht-Verletzen und Liebe zu allen. Das Geben wird hier als Ausdruck von Mitgefühl und Verständnis für das Leid anderer gesehen.

    Dharma

    Das Konzept des Dharma umfasst das moralische und ethische Verhalten, das für das Wohl aller beiträgt. Geben ist Teil dieses Pflichtbewusstseins, das sich auf das Wohlergehen der Gemeinschaft und die Balance im Universum konzentriert.

    Zusammengefasst betrachtet die Yogaphilosophie das Geben als integralen Bestandteil des spirituellen Wachstums und der Selbstverwirklichung. Es ist eine Praxis, die nicht nur den Empfänger, sondern auch den Gebenden erhebt, indem sie das Ego verringert, Mitgefühl fördert und das Bewusstsein für die Einheit allen Lebens verstärkt.

    Fazit

    Für andere da zu sein, Empathie zu zeigen, ist eine zentral menschliche Eigenschaft. In vielen philosophischen und spirituellen Traditionen wird Empathie als wesentlicher Teil der menschlichen Natur betrachtet, der zur moralischen und spirituellen Entwicklung beiträgt. Zum Beispiel in der Yogaphilosophie oder in christlichen Lehren über Nächstenliebe.

    Ungeachtet dessen, dass meiner Ansicht nach auch andere Lebewesen emphatisch sind, fühlt sich das eigene Leben für mich erfüllter an, wann immer ich aktiv etwas zurückgeben darf.

    Vielleicht findest auch Du einen Weg, für andere da zu sein. Und vielleicht kann eine solche Unterstützung auch Dir einmal in einer schwierigen Zeit im Leben helfen, weiter voranzugehen…

    Solltest Du gerade selbst von dem Verlust eines Kindes betroffen sein, erwäge bitte die Kontaktaufnahme mit lokalen Verbänden, ähnlich den hier genannten. Der persönliche Austausch mit Menschen, die in einer ähnlichen Weise betroffen waren oder sind, kann ungemein hilfreich sein.