Loslassen und Unterstützen – im Yoga, im Leben

Wir müssen nicht nur im Leben, sondern auch im Yoga lernen loszulassen. Viele unserer Erfahrungen lassen sich von der Matte auf unser Leben übertragen. Im Falle von traumatischen Erlebnissen und Verlusten ist die Unterstützung durch geschulte Begleitung wichtig. Zudem kann man die leidvollen Erfahrungen möglicherweise nicht loslassen, aber vielleicht transformieren.

„Leben ist Leiden“Der Buddha

Zunächst ist das Zitat eine bekannte, sehr verkürzte Darstellung der Lehre des Buddha, Siddhartha Gautama.

Nach der ersten der vier edlen Wahrheiten des Buddha ist das Leben in seiner essentiellen Natur Dukkha . Es ist voller Schmerz, Krankheit, Altern und Tod (Dukha steht für Leiden, aber auch für das Gefühl von Unvollkommenheit).  Und selbst in unseren Momenten der Freude ist Dukkha präsent, da kein Glück ewig währt und der Verlust des Glücks wiederum Leid verursacht.

Das klingt zunächst nicht sehr optimistisch, bringt aber letztlich nur auf den Punkt, was die meisten von uns beobachten:

Leid ist ein unvermeidbarer Teil des Lebens.

In der zweiten edlen Wahrheit erfahren wir, woher das Leid rührt, nämlich aus unseren Begierden und Anhaftungen. Unsere Unfähigkeit, loszulassen und die Vergänglichkeit aller Dinge anzunehmen, führt zu Leiden.

Indem wir also lernen, unser Leben und uns selbst so anzunehmen wie es ist bzw. wir sind, und nicht mehr an Vorstellungen und Erwartungen festzuhalten, können wir uns von diesem Leid befreien (dritte edle Wahrheit des Buddha). Einen möglichen Weg zeigt der Buddha in seiner vierten edlen Wahrheit: den edlen achtfachen Pfad.

Wer sich hier vielleicht in Kenntnis der Yogaphilosphie, beispielsweise an die Yoga-Sutras nach Patanjali erinnert fühlt, liegt nicht falsch. Siddhartha Gautama, der historische Buddha, lebte im 6. oder 5. Jahrhundert v. Chr. und entwickelte den Buddhismus, während Yoga-Philosophie und -Praktiken in Texten wie den Upanishaden und den Yoga-Sutras von Patanjali, die etwa zeitgleich oder etwas später entstanden sind, dokumentiert wurden.

Loslassen im Yoga

Viele philosophische und praktische Ansätze des Yoga haben daher das primäre Ziel des Loslassens als Weg aus dem Leid des Lebens. Für uns praktisch umgesetzt kann ein erster Schritt darin bestehen, in unserer Praxis auf der Matte das Loslassen zu üben.

Loslassen in eine Asana, loslassen in der Meditation, loslassen im Pranayama. Dabei ist es – wie im Leben – ein Prozess, nicht einfach unangenehme Empfindungen zu verdrängen, sondern in dem Moment zu bleiben und dabei „nur“ zu sein. Oft neigen wir dazu, alles zu bewerten und zu durchdenken.

„Der Muskel zieht“, „ich will nicht mehr, das ist zu anstrengend“, „wie lang geht das noch?“ – Das alles sind Gedanken und Bewertungen, die uns in der unserer Praxis auf der Matte begegnen. Statt zu bewerten, können wir das Ziehen im Muskel, die Anstrengung in einer Asana, das Zwicken im Sitzen, aber auch annehmen, beobachten, darin „sein“.

Indem wir die Situation lernen zu akzeptieren, lassen wir die Erwartung, dass es anders sein sollte, los. Diese Art des Loslassens verbunden mit Akzeptanz des IST-Zustands, können wir von der Matte in unser Leben mitnehmen.

Traumatische Erlebnisse und Trauer

Ich möchte hier betonen, dass traumatische Erlebnisse also überwältigende Erfahrungen, die mit extremen Gefühlen von Ohnmacht und Hilflosigkeit einhergehen, hiervon zunächst auszunehmen sind. Dazu zählen nicht nur offensichtliche Extremsituationen wie Krieg, Folter oder sexueller Missbrauch, sondern auch andere belastende Ereignisse wie schwere Unfälle, Naturkatastrophen oder psychische Gewalt. Ein traumatisches Erlebnis kann eine schockierende, beängstigende oder gefährliche Erfahrung sein, die eine Person emotional stark beeinflusst.

Im Fall von traumatischen Erlebnissen und Verlusten ist die Begleitung durch geschulte Begleiter, in Form von Therapeuten und ggf. Lehrer, die traumsensibles Yoga anbieten, hilfreich.

Auch der Verlust eines geliebten Menschen kann ein solches traumatisches Erlebnis darstellen. Jeder der dies schon durchlebt hat, weiß wie schwer es fällt, loszulassen. Unabhängig davon, wer dieser Mensch für einen selbst war, bleibt nach dem Verlust die Liebe für ihn ohne greifbares Ziel. Und daraus entsteht das Gefühl der intensiven Traurigkeit.

Aber kann und soll man diese ziellos gewordene Liebe einfach loslassen? Und was können wir im Yoga lernen, um mit Verlust umzugehen?

Sternenkinder – ein besonderer Verlust

Häufiger als unsere Gesellschaft erahnen lässt ist der Verlust eines Kindes. Insbesondere über die sogenannten Sternenkinder, d.h. Kinder, die vor, während oder kurz nach der Geburt sterben, wird nicht oder wenig gesprochen. Umso schwieriger ist es für Eltern und Familienangehörige die damit einhergehende Trauer zu verarbeiten.

Als wir unseren Sohn in den letzten Wochen der Schwangerschaft verloren haben, waren wir sowohl unmittelbar mit dem schmerzhaften Tod unsere Kindes, aber auch mit der Einsamkeit in der Trauer konfrontiert. Gerade der Weg nach diesem Verlust war für uns als Familie unglaublich schwer, weil unsere Gesellschaft mit dieser Art von Trauer nicht (mehr) umgehen kann.

Unterstützung für Betroffene

Glücklicherweise sind uns viele wunderbare Menschen begegnet, Bekannte im direkten Umfeld aber auch bis dato Unbekannte, die uns unterstützt haben. Indem sie zugehört haben und indem sie uns unsere Erfahrung haben teilen lassen.

Eine große Unterstützung kam zudem von Organisationen, wie in München den Verwaisten Eltern und der Beratungsstelle für Natürliche Geburt und Elternsein e.V.. Letztere bietet u.a. einen Rückbildungskurs für Mütter, die vor, in oder kurz nach der Geburt ihre Kinder gehen lassen mussten.

Ohne Menschen, die bereit sind, anderen in schweren Momenten beiseite zu stehen, ist jede Art der Trauer überwältigend.

Lass doch einfach los?

In der Trauer bekommt man manchmal von Freunden und Familienmitgliedern den eigentlich gut gemeinten Rat zu hören, man müsse den geliebten Menschen oder die Trauer um ihn loslassen.

Ich selbst habe diesen Rat nicht gut aufgenommen und möchte ihn auch nicht in dieser Weise weiter geben.

Was ich aber gelernt habe, ist, dass auch aus der Trauer mit der Zeit etwas schönes wachsen kann, nämlich der Wunsch, andere zu unterstützen.

Transformation von Leid und Trauer

Neben dem Loslassen von Anhaftungen kann beispielsweise die Liebe für jemanden (als Ursache der Trauer) transformiert werden: in Unterstützung.

Unterstützung lässt sich auf wundervolle Weise für jeden in irgendeiner Form umsetzen, wenn man soweit ist, sie zu geben. Sei es in einer vergleichbaren Situation anderen Familien zur Seite zu stehen, sei es finanziell durch Spenden oder auf andere Weise. So kann man beispielsweise Tabuthemen wie Kindsverlust in die Öffentlichkeit tragen, um diese wieder zu enttabuisieren.

Egal wie man dies umsetzen möchte und wieviel Zeit vergeht, ehe man sich dazu bereit fühlt, können belastende Gefühle und Gedanken in etwas – auch für einen selbst – Positives umgewandelt werden.

Für mich wurde durch die Transformation ein Loslassen der negativen Gefühle im Zusammenhang mit dem Tod unseres Sohnes möglich. Und ich konnte so an dem Schönen festhalten, nämlich dass es ihn gegeben hat.

„Loslassen ist nicht das Ende des Weges; es ist der Beginn der wahren Freiheit.“Paramahansa Yogananda

Geben und Spenden

Man muss nicht betroffen sein, um zu unterstützen.

Sich damit auseinander zu setzen, dass Krankheit, Tod und Trauer Teile unseres Lebens sind und damit jeden früher oder später betreffen, ist aus meiner Sicht ein erster Schritt. Denn ich habe manchmal den Eindruck, dass wir Tod und Krankheit in unserer Gesellschaft am liebsten verstecken, vergessen und totschweigen möchten. Natürlich ändert das aber nichts am natürlichen Lauf der Dinge.

Wenn wir uns hingegen wieder eingestehen, dass diese Teile genauso zu uns und unserem Leben gehören wie Freude, Gesundheit und Leben, dann können wir auch für andere da sein. Zuhören. Nicht wegschauen oder uns wegducken, sondern aushalten und bleiben. Auf diese Weise müssen sich Betroffene in ihrer Trauer nicht wie Aussätzige fühlen.

Auch können wir Organisationen, die diese Aufgabe professionell übernehmen mit unserer Zeit und/oder unserem Geld unterstützen.

Die Leere Wiege

MINIM YOGA unterstützt insbesondere die Leere Wiege, den Rückbildungskurs der Beratungsstelle für Natürliche Geburt und Elternsein e.V. in München.

Leider sieht die Finanzierung des sozialen Bereichs in ganz Deutschland in den kommenden Jahren nicht rosig aus. Die Zuschüsse steigen nicht in gleichem Maße wie die Kosten, Einsparpotentiale sind in einem Bereich, der immer schon sehr sparsam mit öffentlichen Geldern umgehen musste, kaum vorhanden, Defizite wachsen weiter.

Für die Beratungsstelle für Natürliche Geburt und Elternsein e.V. bedeuten die Kürzungen konkret, dass allein im Jahr 2025 mindestens weitere 20.000 € für die Beratungs- und Kursangebote fehlen, die nur durch Spendengelder aufgefüllt werden können. Besonders regelmäßige Spenden sind für Organisation wie diese eine große Hilfe (Spendenportal der Beratungsstelle für Natürliche Geburt und Elternsein e.V.).

Geben in der Yoga-Philosophie

Unzählige Begriffe und Konzepte in der Yogaphilosophie, insbesondere in den alten Texten wie der Bhagavad Gita oder den „Yoga Sutras“ von Patanjali beschrieben, belegen eine tiefe und nuancierte Perspektive des Yoga zum Thema Geben oder Dharma (Pflicht, moralisches Handeln).

Beispiele gefällig? Hier sind sie:

Seva

Eine der wichtigsten Praktiken im Yoga ist Seva, das bedeutet, selbstlosen Dienst zu leisten (Bhakti Yoga). Dies wird als Weg gesehen, um das Ego zu transzendieren und die Verbindung mit allen Lebewesen zu fördern. Durch das Geben ohne Erwartung einer Gegenleistung entwickelt man Mitgefühl und Liebe.

Karma Yoga

Einer der vier Hauptwege des Yoga ist Karma Yoga, der Weg der selbstlosen Handlung. Hierbei wird betont, dass Handlungen (inklusive das Geben) ohne Anhaftung an die Ergebnisse durchgeführt werden sollen. Das Ziel ist es, sich von den Ketten des Karma zu befreien, indem man handelt, um zu dienen, nicht um zu erlangen.

Ahimsa

Ahimsa bezeichnet eines der Yamas (moralischen Gebote) in der Yogaphilosophie nach Patanjali, und es ermutigt zu einer Haltung des Gebens durch Nicht-Verletzen und Liebe zu allen. Das Geben wird hier als Ausdruck von Mitgefühl und Verständnis für das Leid anderer gesehen.

Dharma

Das Konzept des Dharma umfasst das moralische und ethische Verhalten, das für das Wohl aller beiträgt. Geben ist Teil dieses Pflichtbewusstseins, das sich auf das Wohlergehen der Gemeinschaft und die Balance im Universum konzentriert.

Zusammengefasst betrachtet die Yogaphilosophie das Geben als integralen Bestandteil des spirituellen Wachstums und der Selbstverwirklichung. Es ist eine Praxis, die nicht nur den Empfänger, sondern auch den Gebenden erhebt, indem sie das Ego verringert, Mitgefühl fördert und das Bewusstsein für die Einheit allen Lebens verstärkt.

Fazit

Für andere da zu sein, Empathie zu zeigen, ist eine zentral menschliche Eigenschaft. In vielen philosophischen und spirituellen Traditionen wird Empathie als wesentlicher Teil der menschlichen Natur betrachtet, der zur moralischen und spirituellen Entwicklung beiträgt. Zum Beispiel in der Yogaphilosophie oder in christlichen Lehren über Nächstenliebe.

Ungeachtet dessen, dass meiner Ansicht nach auch andere Lebewesen emphatisch sind, fühlt sich das eigene Leben für mich erfüllter an, wann immer ich aktiv etwas zurückgeben darf.

Vielleicht findest auch Du einen Weg, für andere da zu sein. Und vielleicht kann eine solche Unterstützung auch Dir einmal in einer schwierigen Zeit im Leben helfen, weiter voranzugehen…

Solltest Du gerade selbst von dem Verlust eines Kindes betroffen sein, erwäge bitte die Kontaktaufnahme mit lokalen Verbänden, ähnlich den hier genannten. Der persönliche Austausch mit Menschen, die in einer ähnlichen Weise betroffen waren oder sind, kann ungemein hilfreich sein.

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