Kategorie: Yoga – about

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  • OM – ein Klang im Einklang mit dem Universum

    OM – ein Klang im Einklang mit dem Universum

    OM oder auch AUM ist vermutlich die bekannteste Silbe der Welt, die in vielen spirituellen Traditionen, besonders im Hinduismus, Buddhismus und Jainismus, eine zentrale Rolle spielt. Sie wird als universeller Klang betrachtet und ist in vielen Kulturen bekannt. Aber was bedeutet „OM“ eigentlich? Und woher stammt dieser selbst meinen Kindern bekannte Klang, der mit Ruhe, Meditation und Spiritualität in Verbindung gebracht wird?

    Ursprünge des OM-Klangs

    Erstmalig erwähnt wird OM in den alten vedischen Schriften Indiens hat, die vor über 3.000 Jahren entstanden sind. Es gilt als der „Ursprungsklang“ des Universums – quasi der Klang, aus dem alles andere hervorgegangen ist.

    In den Upanishaden, einer Sammlung philosophischer Texte (die vermutlich im ersten Jahrtausend v. Chr. entstanden sind), wird OM oft als der Klang beschrieben, der die Essenz des gesamten Daseins repräsentiert.

    Die Unpanishaden beschäftigen sich im Kern mit der Frage, was den Einzelnen mit allem, das ist, verbindet. Die Antwort lautet Brahman (die Einheit aller Dinge) bzw. Atman (die Einheit, die jeder einzelne von uns in sich trägt), unsere Essenz, die nicht geboren wird und nicht mit unserem Tod verschwindet. Die einzelnen Upanishaden stellen unterschiedliche Perspektiven auf dieses zentrale Thema dar und sind beispielsweise als Lehrer-Schüler-Dialog gestaltet.

    Die sogenannte Mandukya Upanishad beschäftigt sich mit OM und sagt im Kern:

    OM ist nicht nur ein Klang, sondern ein Symbol für die gesamte Realität. Wenn man OM versteht und meditiert, kann man die verschiedenen Schichten des Bewusstseins durchdringen und zum Turiya-Zustand gelangen – der Erkenntnis, dass alles eins ist. Sie betont, dass das Selbst (Atman) nicht von Brahman getrennt ist; die Trennung ist eine Illusion.

    Ein berühmter Vers (Vers 1) lautet:

    Om, dieses Wort ist das ganze Universum. Was war, was ist und was sein wird – alles ist Om. Und was jenseits der drei Zeiten liegt, ist ebenfalls Om.“

    OM oder AUM – ein spiritueller Vierklang

    A-U-M und die Bedeutung davon

    In der Mandukya Upanishad wird OM zunächst in seine drei klanglichen Bestandteile (A-U-M) zerlegt.

    1. A – Vaishvanara (Wachzustand)
      Das „A“ steht für den Wachzustand, in dem wir die äußere Welt mit unseren Sinnen wahrnehmen. Es ist der Zustand, in dem wir normalerweise den ganzen Tag verbringen – denken, handeln, die physische Welt erleben. Das Bewusstsein ist hier nach außen gerichtet.
    2. U – Taijasa (Traumzustand)
      Das „U“ repräsentiert den Traumzustand, wo das Bewusstsein nach innen gerichtet ist. Wir erleben eine Traumwelt, die nicht physisch ist, sondern aus Erinnerungen, Phantasien und dem Unterbewusstsein besteht. Es ist eine Art Zwischenzustand zwischen der äußeren und der tiefsten Ebene.
    3. M – Prajna (Tiefschlafzustand)
      Das „M“ steht für den Tiefschlaf, wo es keine Träume und keine Wahrnehmung der Außenwelt gibt. Es ist ein Zustand tiefer Ruhe und Einheit, aber das Bewusstsein ist „unbewusst“ – es gibt keine dualistischen Erfahrungen wie Subjekt und Objekt. Die Upanishad beschreibt diesen Zustand als eine Art „Samen“ für die anderen Zustände.

    Die beiden Laute „A“ und „U“ gleichen sich beim Sprechen aneinander an und erzeugen den gemeinsamen Laut „O“, was erklärt, warum OM bekannter ist als der zerlegte Dreiklang A-U-M.

    Das Vierte symbolisiert die Einheit

    Aber darin erschöpft sich das OM nicht. Traditionell und auch in heutigen Yogaklassen wird nach dem Chanten von OM in Stille gesessen. Die Stille dient dem Nachspüren der Schwingungen der erzeugten Energie, die aus der Stille kam und wieder in die Stille entschwindet. Und entsprechend ist das OM erst durch den vierten Klang – der Stille – vollständig:

    1. Die Stille nach OM – Turiya (der vierte Zustand)
      Das ist der Zustand jenseits von A, U und M – die Stille, die nach dem Chanten von OM folgt. Turiya ist der transzendente Zustand, das reine Bewusstsein, das allem zugrunde liegt. Es ist weder Wachen, Träumen noch Tiefschlaf, sondern das wahre Selbst (Atman), das mit Brahman eins ist. Turiya ist das Ziel spiritueller Erkenntnis: die Erfahrung der Nicht-Dualität.

    Exkurs: Die Nicht-Dualität

    Die Nicht-Dualität oder auch Non-Duailtät ist ein philosophisches Konzept, das ganze Yogaströmungen prägte und prägt. Aber auch im Zen-Buddhismus wird die Illusion der Trennung zwischen Subjekt und Objekt hinterfragt, z. B. durch Koans. Christliche Mystiker wie Eckhart Tolle oder islamische Sufis wie Rumi sprechen von einer Einheit mit dem Göttlichen, die duale Grenzen überwindet. In der modernen Philosophie kommen Denker wie Spinoza oder sogar Quantenphysiker, die über die Verbundenheit aller Dinge nachdenken, dem Konzept der Nicht-Dualität manchmal sehr nahe.

    Nicht-Dualität im Unterschied zur Dualität

    Unsere wahrnehmbare Realität kennt vor allem die Dualität wie „Ich“ und „Du“, „Subjekt“ und „Objekt“, „Selbst“ und „Welt“.

    Gemäß der Nicht-Dualität (auf Sanskrit „Advaita“, wörtlich „nicht- zwei“) gibt es letztlich keine grundlegende Trennung zwischen Dingen. Stattdessen gibt es nur eine einzige, ungeteilte Realität, also „Du“ und „ich“ wir sind eins, das „Selbst“ ist Teil von „Allem“ und die Trennung zwischen dem Individuum und der Welt existiert nicht. Im Kontext der Mandukya Upanishad ist diese einzige Realität das reine Bewusstsein, das Brahman oder Atman genannt wird. Alles, was wir als getrennt wahrnehmen (Dualität), ist eine Illusion (Maya).

    Wie nähere ich mich der Nicht-Dualität

    Um das für uns zunächst ungewohnte Konzept der Nicht-Dualität zu verstehen, hilft uns das Bild der Wellen im Ozean: Die Wellen sind voneinander unterscheidbar und voneinander abgegrenzt, aber zugleich sind sie alle Wasser und als Teil des Ozeans miteinander verbunden. Nicht-Dualität sagt: Alles, was existiert, ist im Kern dasselbe – das eine Bewusstsein, das sich in verschiedenen Formen zeigt.

    Nicht-Dualität ist nicht nur eine Theorie oder ein Konzept, sondern etwas, das man erfahren kann – vor allem durch Meditation, Selbstreflexion („Wer bin ich?“) und das Studium von Schriften hierzu. In der Praxis geht’s darum, die Identifikation mit dem Ego, dem Körper und dem Geist loszulassen.

    Wenn du zum Beispiel OM chantest (singst) und in die Stille danach eintauchst, wie es die Mandukya Upanishad vorschlägt, kannst du einen Moment erleben, wo die Grenzen zwischen „Ich“ und „Welt“ verschwimmen. Das ist ein Vorgeschmack auf Turiya.

    Weitere Symbolik und Bedeutung von OM

    Religiöse Bedeutung im Hinduismus

    Das OM bzw. AUM wird in der indischen Kultur regelmäßig auch mit den drei höchsten Göttern (Trimurti) in Verbindung gebracht, nämlich:

    Brahma, dem Gott der Schöpfung (symbolisiert durch das A),

    Vishnu, dem Gott der Bewahrung (symbolisiert durch das U), und

    Shiva, dem Gott der Zerstörung (symbolisiert durch das M).

    Diese Symbolik entspricht dem ersten Vers der Mandukya Upanishade, wonach OM alles ist, was war, ist und sein wird.

    Das Schriftzeichen

    Das OM-Symbol (ॐ in Devanagari-Schrift) ist genauso bekannt wie der Klang. Es wird oft in Tempeln, auf Schmuck oder in Kunstwerken dargestellt.

    Die Form des Symbols hat auch eine tiefere Bedeutung:

    • Die drei Kurven stehen für die drei Zustände des Bewusstseins (Wachen, Träumen, Tiefschlaf).
    • Der Punkt oben symbolisiert das Absolute, das jenseits dieser Zustände liegt.
    • Die Sichel darunter repräsentiert die Illusion (Maya), die uns vom Absoluten trennt.

    Wissenschaftlicher Aspekt

    Interessant ist, dass es auch moderne Studien1 gibt, die sich mit den Effekten des OM-Chantens beschäftigen.

    Das Singen soll das parasympathische Nervensystem aktivieren, was Stress reduziert, den Blutdruck senkt und die Konzentration fördert. Die Vibrationen beim Singen von OM sollen außerdem das Gehirn stimulieren – es gibt sogar Studien mit MRT-Scans, die zeigen, dass bestimmte Hirnareale aktiviert werden.

    Kulturelle Präsenz heute

    OM hat sich über die Jahrhunderte auch in die Popkultur geschlichen. Du findest es auf T-Shirts, in Songs, Filmen oder als Tattoo. Es ist für viele ein Symbol für Spiritualität, Frieden und Achtsamkeit, auch wenn sie nicht direkt mit den Traditionen verbunden sind.

    Was können wir hieraus für uns mitnehmen

    Man muss nicht an Gott glauben oder spirituell sein, um sich mit dem Konzept der Nicht-Dualität zu beschäftigen.

    Nicht-Dualität kann schwer zu verstehen sein, weil unser Geist auf Dualität ausgelegt ist – wir denken in Kategorien wie „Ich vs. Welt“. Die Auseinandersetzung mit dem Konzept von Nicht-Dualität kann dein Weltbild umkrempeln. Sie lädt dich ein, die Dinge nicht als getrennt zu sehen, sondern als Ausdruck eines Ganzen.

    Auf diese Weise kann die Nicht-Dualität Ruhe ins Leben bringen, weil Konflikte , negative Gefühle gegenüber anderen und Ängste oft aus der Idee der Trennung kommen. In der Praxis kann zudem das eigene Mitgefühl gefördert werden – wenn alles eins ist, wie könntest du jemandem schaden, ohne dir selbst zu schaden? Schließlich kann aus der Auseinandersetzung mit dem EINS-Sein mit allem auch der Wunsch nach einem nachhaltigeren Umgang mit der Umwelt entstehen.

    OM kann Dich dabei unterstützen, Dich spielerisch mit diesem Konzept auseinanderzusetzen. OM kann aber auch einfach dazu dienen, uns zu Beginn einer Yogapraxis oder in anderen Situationen zu zentrieren, zu erden. So wirkt das Chanten von OM oder die Konzentration darauf, wie jedes andere Mantra, auf unseren Geist beruhigend, indem es ihn fokussiert und beschäftigt hält. OM hat dabei den Charme der Einfachheit, es ist positiv besetzt und auch für Atheisten oder Angehörige anderer Religionen zugänglich.

    Falls Du es mal ausprobieren willst: Man spricht es eher langgezogen aus, wie „Aaaauuuummmm“. Der Ton beginnt tief im Bauch, geht dann in den Brustbereich über und endet im Kopf. Am besten in einer ruhigen Umgebung, mit geschlossenen Augen – es kann auch schon beim ersten Ausprobieren einen spürbaren Effekt haben.

    Und einfach zum Genießen: Sea of OMS by Morley.

    1. Studie zur Stressreduktion und Gehirnaktivität (2011)
      Amin, N., Foa, E. B., & Coles, M. E. (2011). Neural basis of the effects of chanting „Om“ on stress reduction: An fMRI study. Journal of Neuroscience Research, 89(5), 712-719.

      Effekte auf das parasympathische Nervensystem (2018)
      Gururaja, D., Harano, K., & Toyotomi, I. (2018). Physiological effects of „Om“ chanting on autonomic nervous system activity: A pilot study. International Journal of Yoga, 11(2), 108-114.

      Einfluss auf Blutdruck und Stickstoffmonoxid (2022)
      Sharma, R., Gupta, N., & Bijlani, R. L. (2022). Effects of „Om“ chanting on blood pressure and nitric oxide levels in hypertensive patients. Journal of Alternative and Complementary Medicine, 28(6), 543-550.

      Psychologische Effekte und Achtsamkeit (2023)
      Kumar, S., Prakash, R., & Sharma, P. (2023). Impact of „Om“ chanting on stress and mindfulness: A randomized controlled trial. Mindfulness, 14(3), 321-330.

      Kognitive Vorteile bei Schulkindern (2022)
      Rao, M., Srinivasan, T. M., & Nagendra, H. R. (2022). Enhancing working memory and attention in adolescents through Mind Sound Resonance Technique (MSRT) with „Om“ chanting. Journal of Cognitive Enhancement, 6(4), 412-420.
      ↩︎
  • Unser Ego ist nicht unser Ich

    Unser Ego ist nicht unser Ich

    Der Begriff „Ego“ hat in unserem alltäglichen Sprachgebrauch eine negative Konnotation und wird oft mit Selbstbezogenheit, Eitelkeit oder einem überhöhten Selbstbild gleichgesetzt. Es beschreibt, wie jemand auf andere wirkt – egoistisch, arrogant, selbstverliebt. Im Gegensatz dazu stehen die komplexen psychologischen oder spirituellen Konzepte, die in Fachdisziplinen wie Psychologie, Psychoanalyse oder Yogaphilosophie damit verbunden sind. Was das Ego mit dem Ich zu tun hat und inwieweit das Ego dem Ich hilft oder ihm im Weg steht, möchte ich näher unter die Lupe nehmen.

    Ego (lat.) = Ich (Erste Person, singular)

    Es könnte so einfach sein… Ego heißt Ich, also muss es doch das gleiche sein. Sowohl die Psychoanalyse als auch die Yogaphilosophie sehen das jedoch anders…

    In der klassischen Psychoanalyse und Psychologie sind insbesondere die Definitionen von Freud und Jung berühmt geworden, wobei auch die moderne Psychoanalyse und Psychologie auf diesen Modellen aufbauen. Durch den Einsatz modernster Untersuchungsmethodiken wird inzwischen auch wissenschaftlich überprüft, wie das Ego (oder das Selbst) mit neuronalen Strukturen wie dem präfrontalen Cortex (Selbstregulation, Entscheidungsfindung) oder dem Default Mode Network (Selbstbezug, Tagträumen) zusammenhängt.

    Interessant ist, dass die teilweise Jahrtausend(e) alten Schriften der Yogaphilosophie mit ihren Definitionen durchaus Ähnlichkeiten mit modernen Modellen und Definitionen des Egos aufweisen. Der Umgang mit dem Ego ist jedoch völlig unterschiedlich.

    Das Ego in der modernen Psychologie und Psychoanalyse

    Das Ego in der Strukturtheorie der Psyche

    Siegfried Freud beschreibt das Ego als eine der drei Instanzen der Psyche in seinem Modell aus Es, Ich (=Ego) und Über-Ich. Das Ego entwickelt sich aus dem Es und ist die Instanz, die mit der Realität interagiert. Somit bildet das Ego die Schnittstelle und den Vermittler zwischen den triebhaften Wünschen des Es (das Unbewusste, das nach sofortiger Befriedigung strebt) und den moralischen Anforderungen des Über-Ichs (das Gewissen, das gesellschaftliche Normen und Werte repräsentiert). Es arbeitet nach dem Realitätsprinzip, d.h., es versucht, die Impulse des Es in einer sozial akzeptablen Weise zu befriedigen.

    Freud verglich das Ego mit einem Reiter, der das wilde Pferd (das Es) zügeln und durch die äußere Realität lenken muss, während das Über-Ich als strenger Richter auftritt.

    Das Ego im analytischen Psychologie-Modell

    Carl Gustav Jung, der sich von Freud abspaltete, hat eine andere Sichtweise auf das Ego. Bei Jung ist das Ego weniger ein Vermittler zwischen Instanzen, sondern mehr ein zentraler Teil des Bewusstseins:

    Das Ego ist die Summe dessen, womit sich eine Person identifiziert (Gedanken, Gefühle, Wahrnehmungen). Es ist der bewusste Teil der Persönlichkeit, der die Kontinuität und Identität eines Individuums ausmacht. Das Ego dient als Torwächter zum Unbewussten und ermöglicht die Interaktion mit der Außenwelt. Es ist jedoch nicht die Gesamtheit der Psyche, sondern nur ein kleiner Teil. Jung betonte, dass das Ego in Beziehung zum größeren „Selbst“ (dem Zentrum der gesamten Psyche, einschließlich des Unbewussten) steht. Das Ego kann somit ein Hindernis für die Individuation (den Prozess der Ganzwerdung) sein, wenn es zu starr oder dominant wird.

    Jung verglich das Ego manchmal mit der Spitze eines Eisbergs – es ist sichtbar, aber nur ein kleiner Teil der gesamten Psyche, die größtenteils im Unbewussten (wie dem kollektiven Unbewussten) verborgen liegt.

    Gemeinsamkeiten

    Beide sehen das Ego als bewusstseinsnah und als Schnittstelle zur Realität, aber Jung legt mehr Wert auf die spirituelle und transzendente Dimension der Psyche, während Freud sich auf die triebhafte und soziale Dynamik fokussiert.

    Das Ego in der Yogaphilosophie

    Auch in der Yogaphilosophie wird das Ego in Beziehung zu dem Selbst gesehen, jedoch steht es hierbei nicht für eine eigenständige psychologische Instanz, sondern wird als Illusion oder Fehlidentifikation des Selbst mit dem Körper, dem Geist und der materiellen Welt definiert. Der zentrale Begriff für das Ego ist Ahamkara (wörtlich: „Ich-Macher“), während das wahre Selbst oft mit dem Atman gleichgesetzt wird.

    Die Wagenlenker-Analogie (ca. 500 v. Chr.)

    Die sogenannte Wagenlenker-Analogie ist eine berühmte Metapher aus den Upanishaden, insbesondere aus der Katha-Upanishad, die das Konzept des „Selbst“ sowie seine Beziehung zu Körper, Geist und Sinnen erklärt. 

    Ein zentraler Vers der Katha-Upanishad (1.3.3-4) lautet sinngemäß:

    „Erkenne den Atman als den Herrn des Wagens, den Körper als den Wagen, den Intellekt als den Wagenlenker, den Geist als die Zügel. Die Sinne sind die Pferde, die Objekte der Sinne sind die Wege. Wer ohne Unterscheidungskraft ist, dessen Sinne sind ungebändigt, wie ungebärdige Pferde eines Wagenlenkers. Doch wer Unterscheidungskraft hat und einen kontrollierten Geist, dessen Sinne sind gezähmt, und er erreicht das höchste Ziel.“

    Das „Ich“ wird in der Katha-Upanishad auf verschiedenen Ebenen verstanden. Es gibt hier eine Unterscheidung zwischen dem wahren „Ich“ (Atman repräsentiert durch den Herrn bzw. Passagier des Wagens) und dem falschen „Ich“, das mit dem Ego (Ahamkara) assoziiert wird.

    Der Atman ist der eigentliche „Herr“ des Wagens, aber er ist passiv – er greift nicht direkt ein, sondern beobachtet. Er ist das Bewusstsein, das alles durchdringt und die Reise überdauert. Sein Ziel ist es, zur Erkenntnis seiner eigenen Natur zu gelangen, also zu erkennen, dass er eins ist mit Brahman, der höchsten Wirklichkeit.

    Obwohl die Wagenlenker-Analogie das Ahamkara (das Ego im Sinne der Yogaphilosophie) nicht explizit erwähnt, wird es oft implizit verstanden als die Fehlidentifikation des Atman mit den Aktivitäten des Wagens. Das Ahamkara ist die Illusion, die entsteht, wenn der Intellekt (Buddhi) oder der Geist (Manas) sich mit den Sinnen und dem Körper identifiziert und glaubt: „Ich bin der Handelnde“, „Das gehört mir“. In der Analogie könnte man sagen, dass das Ahamkara entsteht, wenn der Wagenlenker (Buddhi) vergisst, dass er nur ein Diener des Passagiers (Atman) ist, und sich selbst für den Herrn hält. In der Folge irrt der Wagen ziellos umher, er wird von den Begierden der Sinne (den Pferden) oder dem durch Erfahrungen geprägten Geist (den Zügeln) gelenkt.

    Wie sollen wir mit dem Ego umgehen?

    In unserer heutigen Zeit kann man Ahamkara entsprechend darin sehen, dass wir uns oft mit Äußerlichkeiten, unseren Besitztümern, unserem Status identifizieren. Infolgedessen vergessen wir, dass wir alle Teil eines großen Ganzen (von allem, was ist, beispielsweise der Natur) sind. Entsprechend fühlen wir uns in unserer Selbstbezogenheit (und im ständigen Vergleich mit anderen, die mehr haben) isoliert und unglücklich. Wir halten krampfhaft an unseren Besitztümern, unserem Status oder unseren Äußerlichkeiten fest, was unseren leidvollen Umgang mit dem Altern und dem Verlust von Status im Alter und dem Festhalten an Dingen erklärt.

    In der Yogaphilosophie ist das Ego kein „Feind“, der zerstört werden muss, sondern ein Hindernis, das überwunden oder transzendiert werden soll. Die Yoga-Praxis soll uns entsprechend helfen, unsere Identifikation mit dem Ego zu lösen und stattdessen Einheit mit unserer wahren Essenz (als Teil von allem) zu erfahren, indem wir Sinne, Geist und Intellekt zum Stillstand bringen:

    „Erst wenn gelangt zum Stillstande
    Mit den fünf Sinnen Manas ist,
    Und unbeweglich steht Buddhi,
    Das nennen sie den höchsten Gang.

    Das ist es, was man nennt Yoga,
    Der Sinne starke Fesselung,
    Doch ist man nicht dabei lässig:
    Yoga ist Schöpfung und Vergang.“

    Peter Michel (Hrsg.): Upanishaden. 2006, S. 364–365


    Zusammenfassung

    Die frühe Yogaphilosophie der Unpanishaden sieht das Ego (Ahamkara) als eine Illusion, die uns glauben lässt, wir seien getrennte Individuen, und die uns somit von der Einheit mit dem wahren Selbst (Atman) oder der höchsten Wirklichkeit (Brahman) trennt. Im Gegensatz zu Freud oder Jung, die das Ego als funktionale psychologische Struktur betrachten, zielt Yoga darauf ab, diese Identifikation zu durchschauen und zu überwinden, um Befreiung zu erlangen. Das Ego ist bei Freud und Jung funktional notwendig und wird nicht grundsätzlich infrage gestellt, wohingegen es im Yoga als Ursache von Leiden gilt und aufgelöst werden muss, um Befreiung (Moksha) zu erlangen. Der Weg dazu führt über Selbsterforschung, Meditation, ethisches Verhalten und Hingabe.

    Die Wagenlenker-Analogie hat Parallelen zu modernen psychologischen Konzepten, aber auch klare Unterschiede:

    • Bei Freud könnte man den Wagenlenker vielleicht mit dem Ego vergleichen, das zwischen Es (Sinne/Pferde) und Über-Ich (moralische Kontrolle) vermittelt. Doch der Atman hat bei Freud kein direktes Äquivalent, da Freud keinen transzendenten Kern des Selbst annahm.
    • Jung kommt der Upanishad-Sicht näher, da er das „Selbst“ als Zentrum der Psyche sieht, das über das Ego hinausgeht. Der Atman könnte mit Jungs Selbst verglichen werden, während das Ahamkara dem Ego entspricht.

    Übertragung in unser Leben

    Es erscheint stimmig, dass, wenn wir unseren Wert an Äußerlichkeiten, wie unserem Aussehen, festmachen, wir durch den Vergleich mit anderen, aber auch schlicht durch unsere eigene Vergänglichkeit, nur unglücklich werden können. Auch machen wir unsere Zufriedenheit abhängig von äußeren Umständen, die wir nicht immer beeinflussen können, wenn wir uns mit unserem Beruf, unserem Status oder dergleichen in hohem Maße identifizieren.

    Ich selbst kann sehr gut nachvollziehen, dass man sich durch Identifikation mit bestimmten Dingen oder Titeln zugleich auch zugehörig fühlen möchte. Daher ertappe ich mich selbst ständig dabei, mich mit Dingen, Titeln oder Interessen zu identifizieren. Auch ist das Konzept, dass wir nicht unser Körper sind, erst einmal ungewöhnlich, denn der eigene Körper ist unser ständiges Zuhause und Begleiter. Die Themen Selbstoptimierung des Körpers und Geistes beherrschen viele Bereiche in unserer heutigen Gesellschaft und sind uns in Fleisch und Blut übergegangen. Jeder möchte das beste aus sich machen. Und zu erkennen, dass mit dem Alter auch unliebsame Veränderungen einhergehen, fällt mir nicht leicht.

    Zugleich ist der Gedanke, dass wir mehr als nur die Summe der Dinge sind, mit denen wir uns identifizieren, sehr tröstlich.

    „Jeder Mensch ist eine Insel“

    Hugh Grant in seiner Rolle als Will in About a Boy (2002)

    Wie traurig wäre es, wenn wir in der Tat allesamt von einander getrennte Individuen wären. Dieser Ausspruch ist ein Ausdruck von Isolation und Selbstbezogenheit und steht für die Illusion der völligen Unabhängigkeit, die in unserer modernen Gesellschaft oft attraktiv erscheint, aber letztlich zu Einsamkeit führt.

    Stattdessen erkennt bereits die Figur Will im Film, dass diese Sichtweise nicht haltbar ist – echte Erfüllung kommt durch Beziehungen, Verantwortung und die Bereitschaft, sich auf andere einzulassen. Die angepasste Metapher der Inselkette am Ende des Films ist ein Kompromiss: Sie erkennt an, dass jeder Mensch seine Individualität hat (eine „Insel“), aber dass wir dennoch miteinander verbunden sind und diese Verbindungen wichtig sind.

    Die modernere Yogaphilosphie geht noch einen Schritt weiter. Wir sind nicht nur miteinander verbundene Inseln im Ozean, wir sind Wellen im Ozean, kurzzeitig abgegrenzt sichtbar, aber immer Teil des Ganzen. Dementsprechend müssen wir unser Ego nicht unbedingt überwinden, wie in den alten Schriften ausgeführt, sondern erweitern. Um zu erkennen, dass die vom Ego wahrgenommene Getrenntheit nicht die endgültige Wahrheit ist. und um zu begreifen, dass wir Teil der Welt und die Welt Teil von uns ist.

    Vielleicht fällt es uns mit dieser Erkenntnis auch leichter, wieder mehr im Einklang mit der Natur und unseren Mitmenschen zu leben?

  • Worin besteht die Verbindung von Yoga und Minimalismus

    Worin besteht die Verbindung von Yoga und Minimalismus

    Auf den ersten Blick scheinen diese beiden Begriffe wenig miteinander zu tun zu haben. Yoga stellt für viele heute eine Sportart dar. Minimalismus ist mit den unterschiedlichsten Assoziationen belegt, wie Minimalismus in der Kunst, in der Architektur oder in der Literatur.

    Es gibt jedoch in unterschiedlichen Aspekten interessante Verbindungen zwischen Yoga und Minimalismus. Diese sind eher philosophisch und lebensstil-orientiert und nicht direkt oder kausal:

    Einfachheit und Konzentration


    Im Kern ermutigt Yoga zur Einfachheit. Bei vielen Yogapraktiken geht es darum, Ablenkungen zu reduzieren und sich auf Atem, Körper und Geist zu konzentrieren. Dies zeigt sich in Praktiken wie der Meditation, bei der es darum geht, den Geist von Unordnung zu befreien und sich auf den gegenwärtigen Moment zu konzentrieren.

    In ähnlicher Weise geht es beim Minimalismus darum, den eigenen Besitz und die eigenen Verpflichtungen auf das wirklich Wesentliche zu reduzieren und so ein Leben in Einfachheit, Konzentration und Zielstrebigkeit zu fördern.

    Loslassen


    Körperliche Yogastellungen lehren uns Übenden oft, Spannungen loszulassen, sowohl körperlich als auch geistig. Dies spiegelt das minimalistische Prinzip des Loslassens von unnötigen Besitztümern oder geistigem Ballast wider.

    Der Akt des (physischen aber auch psychischen) Entrümpelns im Minimalismus ist gleichbedeutend mit dem Loslassen von körperlichem und emotionalem Ballast und fördert ein Gefühl der Freiheit und des Friedens, ähnlich dem, was man nach einer Yogastunde erleben kann.

    Achtsamkeit


    Sowohl Yoga als auch Minimalismus setzen sich für Achtsamkeit ein. Die körperliche Yogapraxis fördert die Achtsamkeit für den eigenen Körper, den Atem und die Gedanken während der Praxis, während Minimalismus die Achtsamkeit für die eigenen Konsumgewohnheiten, den Lebensraum und das Zeitmanagement fördert. Doch bei beiden Prinzipien endet die Achtsamkeit nicht hier, sondern stellt eher einen Ausgangspunkt für einen achtsamen Umgang mit unserem Umfeld und unserer Umwelt dar.

    Nachhaltigkeit und Umweltbewußtsein

    Viele yogische Philosophien, insbesondere die der alten Traditionen, fördern ein Leben in Harmonie mit der Natur. Dies deckt sich mit dem Ansatz der Minimalisten, zu reduzieren, wiederzuverwenden und zu recyceln.

    Indem sie weniger konsumieren und Qualität der Quantität vorziehen, praktizieren Minimalisten von Natur aus eine Form der Nachhaltigkeit, die dem Yoga-Prinzip des Ahimsa (Nicht-Schaden) entspricht.

    Gesundheit und Wohlbefinden


    Beide Praktiken zielen auf eine ganzheitliche Gesundheit ab: Yoga durch körperliche und geistige Übungen und Minimalismus durch die Reduzierung der Komplexität des Lebens, die zu Stress und gesundheitlichen Problemen führen kann.

    Kulturelle Überschneidungen

    In der heutigen Zeit gibt es kulturelle Überschneidungen, wenn Yogastudios eine minimalistische Ästhetik oder Workshops zum Thema Minimalismus anbieten, was zeigt, wie sich diese Philosophien im täglichen Leben ergänzen können.

    Fazit

    Auch wenn es keine direkte, inhärente Verbindung zwischen den beiden Philosophien gibt, haben sie doch Gemeinsamkeiten in ihrem Streben nach Frieden, Klarheit und Einfachheit.

    Wer die eine Philosophie praktiziert, findet die Prinzipien der anderen vielleicht auf natürliche Weise ansprechend oder nützlich. Man kann Yoga praktizieren, ohne sich dem Minimalismus zu verschreiben, oder Minimalist sein, ohne Yoga zu praktizieren, aber viele finden, dass die Beschäftigung mit beidem ihr allgemeines Wohlbefinden und ihren Lebensstil verbessert.

    Ein Grund mehr, warum MINIM YOGA entstanden ist…

    Wenn Dich das Thema Minimalismus mehr interessiert, findest Du auch viele Anregungen bei Joshua Becker.

  • Shavasana – the art of letting go

    Shavasana – the art of letting go

    Shavasana (auch „Savasana“), die klassische Abschluss-Haltung einer jeden Yogastunde, gilt als eine der grundlegendsten und zugleich wichtigsten Asanas im Yoga. Diese Haltung ist besonders dafür bekannt, dass sie den Körper und Geist tief entspannt, was für das Wohlbefinden und die Regeneration essenziell ist.

    Eine Asana mit vielen Namen

    Das Wort „Shavasana“ auf Sanskrit lässt sich in seine Bestandteile, d.h. in seine Wortwurzeln, wie folgt aufteilen:

    • Shava (शव) bedeutet „Leiche“.
    • Asana (आसन) bedeutet „Sitz“ oder „Haltung“.

    Zusammen übersetzt bedeutet Shavasana also wörtlich „Leichenhaltung“.

    Neben der im deutschsprachigen Raum sehr viel benutzten Bezeichnung Shavasana ist die Haltung auch als Mritasana (mṛtāsana, von mṛta „Toter“) bekannt. In Frankreich findet sich in Yogaklassen oft direkt die Übersetzung von Shavasana, nämlich „Posture du Cadavre“.

    Von LuNa Schmidt, die im deutschsprachigen Raum sehr bekannt ist für ihre Arbeit im Bereich des modernen Yoga und die sich mit Yoga, Faszien und spirituellen Aspekten in ihren Büchern und vielzähligen Artikeln beschäftigt, habe ich die Bezeichnung „Shanti-Asana“ gelernt (angelehnt an die Sanskritwurzel śama – mit der Bedeutung ruhig, still ). Hierdurch wird eine Art poetische oder spirituelle Bezeichnung für eine Haltung oder eine Praxis geschaffen, die auf Entspannung und innere Gelassenheit abzielt.

    Shavasana – die Haltung der Toten?

    Über die Bedeutung dieses Asana-Namens kann man viel philosophieren. Und auch über die Frage, warum wir im deutschsprachigen Raum lieber den Sanskritbegriff verwenden als die Franzosen. Ich selbst habe nur in weiterführenden Workshops die Lehrer darüber sprechen gehört, was Shavasana bedeutet. In gängigen deutschsprachigen Yogaklassen hingegen bleibt es beim wohlklingenden Sanskritbegriff. Bei französischen Yogalehrern hingegen zuckt nach meiner Erfahrung auch in der offenen Yogaklasse keiner der Schüler, wenn zum Einnehmen der Haltung der Leiche eingeladen wird.

    Der Tod ist in Frankreich ein Thema, das sowohl in der Literatur als auch in der Philosophie tief verwurzelt ist, was zu einer offenen Diskussion und Reflexion über Sterben und Tod führt. Es gibt eine starke Tradition der philosophischen Auseinandersetzung mit dem Tod, wie bei Existenzialisten wie Sartre oder Camus. Vielleicht liegt hierin die größere Offenheit auch im Yoga, Shavasana ohne Scheu mit dem Tod in Verbindung zu bringen.

    Ein gängiges Verständnis der Leichenhaltung Shavasana ist, dass sie die völlige Entspannung und Bewegungslosigkeit der Asana beschreibt, in der der Praktizierende in eine tiefe Ruhe versunken ist, ähnlich dem Zustand eines Leichnams.

    In einer tiefergehenden Interpretation geht es jedoch auch um die Auseinandersetzung mit der Frage, was von einem bleibt, wenn man Äußerlichkeiten, Identifikationen und schlicht den eigenen Körper loslässt (wie dies auch im Tod geschieht). Man verbindet sich mit seiner tiefsten Essenz, seinem Atman. Atman bezeichnet die wahre, ewige, unveränderliche Essenz des Individuums beschrieben, die wir auch als Seele oder das Selbst bezeichnen. Es ist das, was über den physischen Körper, den Geist und die Emotionen hinausgeht. Manche Yogis sagen auch, dass man in Shavasana den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit üben kann. Denn erst, wenn man die Angst vor dem eigenen Tod überwunden hat, ist man wirklich frei.

    Ursprünge von Shavasana

    Hinduistische Tradition und Yoga-Sutras:

    • Vedische Wurzeln: Shavasana hat seine Wurzeln tief in der vedischen Tradition Indiens. Es wird angenommen, dass die Praxis der Entspannung und Meditation schon seit Jahrtausenden in indischen spirituellen Praktiken existiert.
    • Patanjali’s Yoga-Sutras: Shavasana wird implizit in den Yoga-Sutras von Patanjali erwähnt, die etwa im 2. Jahrhundert v. Chr. zusammengestellt wurden. Obwohl nicht explizit als „Shavasana“ benannt, sind die Konzepte der Entspannung und Meditation (wie in Pratyahara, Dharana und Dhyana) integraler Bestandteil der Yoga-Philosophie.

    Tantrische und Hatha-Yoga Einflüsse:

    • Tantrismus: In tantrischen Praktiken wird die Entspannung und die Verbindung mit dem eigenen Körper oft als Vorbereitung für höhere meditative Zustände verwendet. Shavasana könnte hier als Methode zur Energieregulierung und Bewusstseinserweiterung betrachtet worden sein.
    • Hatha Yoga: Mit der Entwicklung des Hatha Yoga, insbesondere durch Werke wie das „Hatha Yoga Pradipika“ (15. Jahrhundert n. Chr.), wurde die Bedeutung von Entspannung und der Vorbereitung auf Meditation verstärkt. Hier wird Shavasana als eine Methode zur Regeneration und Vorbereitung auf andere Asanas und Pranayama-Übungen beschrieben.

    Moderner Yoga:

    • Integration in moderne Yoga-Stile: In den westlichen Ländern wurde Shavasana durch Lehrer wie B.K.S. Iyengar, Swami Vivekananda und andere populär, die das Yoga-System systematisierten und für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich machten. Shavasana wurde ein Standard bei der Beendigung von Yoga-Sitzungen zur Integration und Reflexion der Praxis.
    • Kulturelle Adaptation: Während die Wurzeln in der traditionellen indischen Meditation und Entspannungstechniken liegen, hat sich Shavasana in der modernen Yoga-Praxis weiterentwickelt, um auch die Bedürfnisse eines westlichen Publikums zu erfüllen, welches oft nach Stressbewältigung und körperlicher Erholung sucht.

    Shavasana ist also tief verwurzelt in den spirituellen, philosophischen und physischen Traditionen des Yoga, die sich über Jahrtausende hinweg entwickelt haben.

    Durchführung

    1. Vorbereitung: Lege dich auf den Rücken, die Beine leicht gespreizt, die Füße fallen nach außen. Deine Arme ruhen entspannt neben deinem Körper, die Handflächen zeigen nach oben.
    2. Körperhaltung: Schließe die Augen und beginne, bewusst durch die Nase zu atmen. Achte darauf, dass dein ganzer Körper locker und schwer wird, als ob du in den Boden sinken würdest.
    3. Atmung: Folge deinem Atem. Mit jedem Einatmen fühlst du dich leichter, mit jedem Ausatmen gibst du alle Anspannung ab.
    4. Mentale Entspannung: Lasse deine Gedanken kommen und gehen, ohne sie festzuhalten. Konzentriere dich auf das Gefühl der Entspannung, das sich in deinem Körper ausbreitet.
    5. Dauer: Shavasana sollte mindestens 5 bis 10 Minuten praktiziert werden. In einer Yoga-Klasse ist sie oft der Abschluss, um den Körper nach der Anstrengung zu beruhigen.

    Meine Shavasana Hacks

    Ich genieße es, meinen Nacken lang zu halten, indem ich das Kinn leicht zur Brust ziehe. Eine gefaltete Decke am Hinterkopf kann helfen, wenn das am Anfang noch ungewohnt sein sollte.

    Außerdem finde ich es sehr wohltuend, die Arme nicht zu eng am Körper zu halten, sondern „mit mehr Luft in den Achseln“. Wenn ich indes das Bedürfnis nach Geborgenheit habe, lege ich meine Hände auf den unteren Bauch.

    Es kann sehr angenehm sein, die Schulterblätter für eine bessere Schulteröffnung ein wenig unter den Körper zu nehmen, wenn wir in Rückenlage sind. Hierzu ziehe ich sie ähnlich wie in der Vorbereitung auf die Schulterbrücke etwas enger im Rücken zusammen.

    Ich achte immer darauf, mich langsam aus Shavasana herauszubewegen, um Schwindel zu vermeiden. Rolle dich beispielsweise erst langsam zur Seite und setze dich dann über die Seite kommend auf.

    Props für Shavasana

    Vielleicht probierst Du bei unangenehmen Gefühlen oder Schmerzen in der Rückenlage eine gerollte Decke oder ein Bolster unter den Knien aus, Das schafft Entlastung im unteren Rücken.

    Auch Blöcke an den Oberschenkelrückseiten in der Nähe des Gesäßes können sehr wohltuend sein, gerade wenn die Beine viel geleistet haben.

    Wenn Du länger in Shavasana liegen möchtest, achte darauf, dass Du nicht auskühlst. Idealerweise ziehst Du Dir schon vorher Socken an, vielleicht auch ein wärmendes Oberteil, und legst Dir eine Decke bereit (oder breitest sie schon über Deinen ausgestreckten Körper aus).

    Last but not least

    Wie in der gesamten Yogapraxis ist es auch in Bezug auf Shavasana wichtig, für sich selbst rauszufinden, was sich gut und angenehm für Dich anfühlt. Lerne Dich und Deine Bedürfnisse kennen und erkennen. Vielleicht willst Du manchmal gar nicht auf dem Rücken, sondern lieber auf dem Bauch oder auf einer Seite liegen. An manchen Tagen kann Dir zudem ein Augenkissen helfen, besser in die Stille zu finden. Und so gibt es unzählige Variationsmöglichkeiten dieser simplen aber nicht immer einfachen Haltung.

    Auch wenn Shavasana vergleichsweise simpel auszuführen ist, kann Dich die Begleitung durch einen Lehrer in eine tiefere Entspannung bringen.

    Welche Vorteile bringt Shavasana

    • Stressabbau: Shavasana hilft, den Körper und Geist zu beruhigen, was zu einer Reduktion von Stress und Angst führt.
    • Körperliche Regeneration: Es fördert die Heilung und Regeneration der Muskeln nach körperlicher Anstrengung.
    • Verbesserte Konzentration: Durch die tiefe Entspannung kann sich der Geist klarer und fokussierter fühlen.
    • Blutdruckregulierung: Die entspannende Wirkung kann helfen, den Blutdruck zu senken.

    Fazit

    Für viele in unserer heutigen schnellen Welt ist es schwierig, am Ende einer Yogaklasse mehrere Minuten in Stille und möglicherweise mit geschlossenen Augen einfach nur auf der Matte zu liegen. Wir sind es nicht mehr gewöhnt, nichts zu tun und einfach zu sein. Auch fällt die Auseinandersetzung mit sich in dieser Stille ohne äußere Reize manchmal schwer.

    Shavanasa bringt uns in Kontakt mit uns selbst. Und lehrt uns Achtsamkeit mit uns selbst, wenn wir genau hinhören.

    Daher ist diese Asana eine Kunst, die Geduld und Übung erfordert. Als Belohnung kann sie uns jedoch eine tiefe Ruhe und Erneuerung bringen, die wir von der Matte in unseren hektischen Alltag übertragen können.

  • Wie orientiert man sich im Yoga-Dschungel

    Wie orientiert man sich im Yoga-Dschungel

    Hatha Yoga • Ashtanga Yoga • Vinyasa Yoga • Iyengar YogaYin Yoga • Yin Yang YogaKundalini YogaAnusara YogaBikram Yoga • Power Yoga • Vini Yoga • Air YogaFaszien Yoga

    Welches Yoga machst Du?

    Als mir in der Vergangenheit diese Frage gestellt wurde, konnte ich gar nicht antworten. Meine Yogaklasse hatte keinen offiziellen Namen und der Stil war eher ein Mix aus vielen Elementen.

    Selbst nach einem tieferen Einblick in die unterschiedlichen Yogasysteme und viele unterschiedliche Yogaklassen später, kann ich noch immer keine eindeutige Antwort geben. Wenn ich alleine praktiziere, mache ich „mein Yoga“. Dieses ist an meine Tagesform und meine aktuellen Bedürfnisse angepasst. Es finden sich Elemente von Meditation, Vinyasa Yoga, Hatha Yoga und Pranayama in unterschiedlicher Gewichtung in meiner persönlichen Praxis. Manchmal bleibe ich unerwartet in meinem Sitz, weil die Meditation sich so gut anfühlt. Ein anderes Mal ist es ein dynamischer Flow, der mir gut tut. Und zuweilen genieße ich eine Praxis mit Harmonium und Gesang.

    Yogakommerzialisierung

    Heute kennt so gut wie jeder den Begriff „Yoga“ und verbindet damit Entspannung, Sport, Gymnastik. Aber die Vielzahl an Yogaarten, die sich inzwischen entwickelt haben, lassen sich kaum mehr überblicken. Und die vorstehende Aufzählung ist bei weitem nicht abschließend.

    Seit den 90er Jahren steht Yoga für ein Milliardengeschäft. Der wirtschaftliche Yogaumsatz wurde bereits im Jahr 2017 auf 65 Milliarden Euro geschätzt, Tendenz steigend. Für das Jahr 2025 wird weltweit ein Volumen von etwa 200 Milliarden Euro erwartet (Quelle: ScottMax).

    Für die inzwischen geschätzt 300 Milliarden Yogis weltweit ist Yoga auch ein Lifestyle, der für Gesundheit und Selbstfürsorge steht. Die sogenannten Yogapants sind in einigen Teilen der Welt mehr Statement („ich bin hip und fit“) als Kleidungsstück. Und schicke Yogastudios sind aus großen Städten im Westen nicht mehr wegzudenken.

    Wenig verwunderlich ist daher, dass viele Yogastile heute ebenfalls Markencharakter haben. Und Studios, die wie Franchise-Unternehmen funktionieren, sind keine Besonderheit mehr, wie beispielsweise Bikram-Yoga-Studios oder Jivamukti-Yoga-Studios überall in der Welt.

    Aber ist diese Vielfalt wirklich ein neues Phänomen, das mit dem weltweiten Erfolg von Yoga zu tun hat?

    Der Einfluss der Lehrer

    Der moderne Yoga, wie wir ihn heute kennen, hat sich aus einem Austausch der indischen Kultur und der westlichen Kultur entwickelt. Dabei spielten die alten indischen Schriften zum Yoga und alten Yogatraditionen eine große Rolle. Aber es flossen auch Elementen der indischen Ringerkultur, sowie Einflüsse der westlichen Gymnastik- und Bodybuilderkultur hinein. Vor allem aber wurde der moderne Yoga von den Lehrern geprägt, die diesen in die Welt getragen haben.

    Swami Vivekananda kam als erster Botschafter des neuzeitlichen Yoga in den Westen. 1893 sprach er als Vertreter des Hinduismus beim Weltparlament der Religionen. Hier präsentierte er Yoga vor allem als universelle spirituelle Praxis. Denn nach Meinung Vivekanandas mangelte es dem Westen vor allem an Spiritualität, die Indien den Brüdern und Schwestern im Westen bieten konnte. Besonders geeignet schienen ihm die Vedanta Philosophie sowie das Yoga des Patanjali und die Bhagavad Gita.

    Anders als im Westen, wo Vivekananda (bedarfsorientiert) mehr Spiritualität predigte, rief er in Indien zu mehr körperliche Betätigung auf. Diesem Aufruf folgend entwickelten sich in Indien die Ursprünge der heutigen körperbetonten Yogabewegung (Asanapraxis). Zwei Strömungen erlangten im Westen besonders große Bekanntheit.

    Showyoga aus Mysore

    Tirumalai Krishnamacharya gilt als der Vater des modernen Yogas, der im Palast des Maharaja („Großer König“) von Mysore ein Yogatraining für die Söhne des Königs entwickelte, das auf körperliche Kraft, Durchhaltevermögen und Muskeltonus ausgerichtet war. In regelmäßigen Bühnenshows präsentierten er und seine Schüler einen modernen Yogastil, der stark beeinflusst war von westlicher Gymnastik und Übungen aus indischem Kampfsport. Ein bekanntes Beispiel hierfür sind die von ihm entwickelten Sonnengrüße Surya Namskar.

    Wenn heute manchmal kritisiert wird, dass Yoga für einige nur noch instragram-taugliche Posen beinhaltet, vergessen wir, dass die Wurzeln unsere modernen Yoga auch schon beim Vater des modernen Yoga, Krishnamacharya, Show-Charakter hatte (Quelle: Yogaazur.fr):

    Vor allem durch seine berühmten Schüler wurde der Yogastil aus Mysore im Westen und weltweit populär gemacht.

    Krishnamacharyas berühmte Schüler

    So gehört hierzu Indra Devi als erste Yogini im Westen, die als eine schwedisch-russisch-amerikanische Schauspielerin unter Krishnamacharya in Mysore gelernt hat und Yoga dann als körperliches Workout in den USA populär machte.

    In Yogakreisen ebenfalls sehr bekannt ist B.K.S. Iyengar, der seinen Fokus auf die körperliche Anatomie setzte und Yoga als therapeutisches Instrument nutzte. Typisch für Iyengar Yoga, wie der nach ihm benannte Yoga Stil genannt wird, sind unter anderem eine sehr exakte Ausrichtung und die Verwendung von Hilfsmitteln wie Kissen, Stühle, Seile, Holzklötzchen usw., um die Wirkung von Asanas zu steigern oder Probleme der Ausübung aufgrund von Behinderungen zu umgehen.

    Und dann war da noch Pattabhi Jois, der später das von ihm gelehrte Hatha-Yoga-System unter dem Namen Ashtanga Yoga bekannt machte. Ashtanga Yoga, ein sehr dynamischer und athletischer Yogastil, zeichnet sich durch eine Synchronisation von festgelegten Serien von dynamisch ausgeführten Yogastellungen mit dem Atem aus.

    Auch die Kinder von Krishnamacharya, darunter zwei Söhne, trugen zur Bekanntheit des Mysore-Stil-Yoga bei: T.K.V. Desikachar mit seinem therapeutischen Vini-Yoga und T.K. Shribbhashyam, der den Yogastil seines Vaters mit den Lehren des Ayurveda kombinierte und nach Frankreich brachte.

    Bodybuilder Yoga aus Kalkutta

    Eine weitere körperbetonte Yogaströmung entsprang der bekannten Yogafamilie Ghosh aus Kalkutta. Aus dieser gingen zwei Brüder hervor, die beide körperbetonte Yogastile präsentieren sollten.

    Aus dem älteren Bruder Mukunda Lal Ghosh wurde der später bekannte Yogananda, der den Bestseller „Autobiographie eines Yogi“ schrieb. Yogananda entwickelte Yogoda eine Mischung aus vereinfachten Yogahaltungen und energetisierenden Freiübungen.

    Sein jüngerer Bruder war Bishnu Charan Ghosh, der primär Bodybuilder war.

    B.C. Ghosh entwickelte, zunächst für das Training von Bodybuildern, die berühmte Asanafolge, die einer seiner Schüler, Choudhury Bikram, als Hot-Yoga oder auch Bikram Yoga in den Westen brachte. Spannend hierzu ist der Film Bikram: Yogi, Guru, Predator).

    Yoga lebt von Lehrer und Schüler

    Schon lange vor dem, was wir als modernen Yoga kennen, war der Yoga in höchstem Maße durch den Lehrer bzw. Guru geprägt. Dieser lebte in mehrjähriger Schüler-Lehrer-Beziehung mit seinem Schüler, um diesem in mündlicher Überlieferung die Geheimlehre Yoga zu übertragen.

    Und auch später, als die ersten indischen Lehrer im 19. Jahrhundert unterschiedliche Yogastile entwickelten, in den Westen brachten und dort unterrichteten, hat jeder von ihnen dem Yoga seinen eigenen Stempel aufgedrückt, sei es durch die Vermischung mit westlichen Einflüssen oder durch die Anpassung auf spezifischen Bedürfnisse ihrer Schüler.

    Unverändert entwickeln sich seither immer wieder neue Yogastile, die mit unterschiedlichem Fokus die drei Haupt-entwicklungsstränge des Yoga, nämlich Yoga als Philosophie, Yoga als Therapie und Yoga als Sport, miteinander verweben. Im Ergebnis führt das zu einem immer größer werdenden Pool an Auswahlmöglichkeiten. Gerade als Anfänger kann das verwirrend sein, wenn man sich seinen für sich passenden Yogastil sucht.

    Da aber auch innerhalb eines Yogasystems oder -stils der einzelne Lehrende (mit seinen Erfahrungen und seinem Unterrichtsstil) und seine Schüler eine Yogaklasse maßgeblich beeinflussen, empfehle ich sich bei der Auswahl des für einen passenden Yogas vor allem unterschiedliche Lehrer (ruhig auch mit unterschiedlichen Stilen) auszuprobieren.

    Denn Yoga ist und bleibt ein Werkzeug, das von jedem Menschen anders eingesetzt werden kann, unabhängig davon wie ich das spezifische Werkzeug nenne.

    Yoga in Indien heute – Fokus auf Yogatherapie

    Bis heute unterscheidet sich die Yogakultur in Indien deutlich von dem, wie wir im Westen Yoga praktizieren.

    So wird in Indien in der Regel kein Gruppen- oder Klassenunterricht angeboten. Das liegt daran, dass Yoga als Therapie die meistverbreitete Form von Yoga in Indien darstellt. Hier wird in klinikartigen Yogainstituten ein auf den jeweiligen Schüler/Patienten eine maßgeschneiderte Praxis zusammengestellt, die dieser zunächst unter Anleitung und später oder parallel zuhause anwenden soll.

    Der Gruppenunterricht – ein Yoga für alle – ist indes die Ausnahme und richtet sich in der Regel an die Ausbildung von Yogalehrenden oder an Ausländer.

    MINIM YOGA als Mix

    Ich selbst genieße die Energie, die sich daraus ergibt, mit einer Gruppe von mehreren Schülern Yoga zu praktizieren, unabhängig davon, ob ich selbst einer davon bin oder unterrichte.

    Zugleich habe ich durch das Unterrichten erkennen müssen, wie unterschiedlich wir Menschen doch voneinander sind. Nicht nur, weil in einer offenen Studioklasse unterschiedliche Level, Alter, Geschlechter und Zielsetzungen zusammenkommen, sondern auch, weil selbst in einer vergleichsweise homogenen Klasse (beispielsweise in einem Teachertraining) jeder Körper anders ist.

    Um dem besser gerecht zu werden und auf den einzelnen eingehen zu können, bevorzuge ich den Einzel- und Kleingruppenunterricht in privater Atmosphäre. Hier- in einem geschützten Raum – fällt es leichter sich als Praktizierender auf sich selbst zu konzentrieren und in die eigene Mitte zukommen. Um alles loslassen zu können.

    Und als Begleiter kann ich meinen Unterricht besser auf die Bedürfnisse des Einzelnen und die körperlichen Besonderheiten ausrichten.

    Viel Freude an Deinem Yoga – egal wie Deine Praxis heute für Dich aussehen mag.

  • Der Weg zurück zum Selbst

    Der Weg zurück zum Selbst

    Wenn Du an Yoga denkst, hast Du vielleicht folgendes Bild vor Augen: eine durchtrainierte jungen Frau (oder ein durchtrainierter junger Mann) ist mit enger/hipper Yogakleidung und friedlichem Gesichtsausdruck in einer spektakulären artistengleichen Pose vor einem naturnahem Hintergrund gezeigt. Das entspricht im Wesentlichen der marketingbasierten Darstellung des westliche Yoga in den letzten Jahrzehnten (wie nachfolgenden von ognx).

    Yoga ist aber viel mehr. Die große Stärke von Yoga liegt meiner Meinung nach weder in einer besseren Beweglichkeit noch in Muskelaufbau oder sonstigen physischen Errungenschaften, die mit der Praxis einhergehen können. Es ist vielmehr so, dass Yoga uns (dabei) wieder in Kontakt mit uns selbst zu bringen vermag.

    Wir können zunächst unseren Geist beruhigen und dann – vielleicht nach langer Zeit endlich einmal wieder – in unser Herz blicken. Wir finden Klarheit und können erkennen, was uns wichtig ist. Möglicherweise nicht unmittelbar, denn Yoga ist ein Prozess, ein Begleiter auf unserem Lebensweg. Aber mit zunehmender Übung gelingt es immer besser zurück zu sich zu finden und sich wieder zu erkennen.

    Wann soll ich mit Yoga beginnen

    Mit Yoga zu beginnen und es zu einer liebevollen Gewohnheit zu machen, ist vor allem dann sinnvoll, wenn es uns gut geht und wir emotional geerdet sind. Denn wenn uns die regelmäßige Praxis in den guten Zeiten erst einmal zur Gewohnheit geworden ist, kann uns Yoga in turbulenten Zeiten umso besser stützen.

    Um mit Yoga zu beginnen, empfiehlt es sich aus meiner Erfahrung einen Lehrer bzw. eine Klasse zu finden, die einen als Anfänger begleiten kann, damit man von Anfang an, eine gesunde Ausrichtung erlernen und zugleich in seiner Reise zu sich selbst begleitet werden kann. Durch kleine Meditationen, Atemlenkungen oder einfache Beobachtungsübungen, die die Asanapraxis unterstützen.

    Auch im Internet finden sich unzählige Videos, Onlinekurse und dergleichen, die einem einen ersten Einblick in unterschiedliche Yogasysteme geben können. Aber der persönliche Kontakt und der erfahrene Blick eines Lehrer bietet einen echten Mehrwert, gerade am Anfang.

    Stille kann auch re-traumatisieren

    Schwieriger wird es, wenn man in schwierigen Zeiten, insbesondere nach einem traumatischen Erlebnis, sich durch Yoga mental helfen, psychisch stabilisieren und somit wieder mehr bei sich und in seinem Körper ankommen möchte.

    Denn bei Traumata kann konventioneller Yogaunterricht möglicherweise mehr Schaden anrichten als helfen. So kann es besonders schwer sein, die Stille zu ertragen, die uns die Innenschau ermöglichen soll. Auch kann nach einem Trauma der Blick nach Innen die traumatischen Ereignisse wieder zurück bringen, was je nach Art des Traumas und ohne professionelle Begleitung nicht förderlich für die traumatisierte Person ist.

    Daher ist wichtig, sehr behutsam vorzugehen und auch hier den Yoga an die persönlichen Bedürfnisse anzupassen. Die behutsame Auseinandersetzung mit sich eröffnet einen – allerdings nur mit speziell geschulten Lehrern – Raum, um auch mit schweren psychischen Traumata umzugehen. Dies hat unter anderem das Projekt Citizen2be eindruckvoll bewiesen.

    Yoga kann Körper und Geist erreichen

    Mit unterschiedlichen Yogasystemen kann es uns auch in schwere Zeiten situationsangepasst gelingen – auch über den Körper und Körperübungen – den Geist zu beruhigen, Stressempfinden zu reduzieren und wieder Zutrauen zum eigenen Körper/uns aufzubauen.

    Das Leben annehmen

    In meinem eigenen Leben musste ich, wie wir alle, lernen (ein Prozess, der noch längst nicht abgeschlossen ist), all die Veränderungen anzunehmen, die das Leben mit sich bringt, auch und gerade diejenigen, die schmerzhaft sind. Denn Leben ist Veränderung. Damit bleibt einem nur, mit dem Leben zu hadern und zu leiden, oder aber anzunehmen, was das Leben bringt und die eigenen Erwartungen loszulassen.

    Dass das alles andere als einfach ist, versteht sich von selbst. Zumal wir (in der westlichen Welt) heute mit der Vorstellung aufwachsen, wir hätten alles unter Kontrolle. Erfreulicherweise ermöglicht uns durch die moderne Medizin, Krankheiten besser zu „kontrollieren“, die Technik erleichtert uns, die „Kontrolle“ über unser Alltagsleben zu behalten und wir fühlen uns als „unseres Glückes Schmied“. Aber natürlich ist das in gewisser Weise auch eine Illusion, denn unser Einfluss ist und bleibt begrenzt.

    Das lehrt uns auch der Yoga. In der Körperarbeit (Asana) müssen wir unseren Körper so annehmen, wie er jetzt ist, und basierend darauf unsere Praxis gestalten. Jeder unterliegt dabei Limitierungen und sei es nur aufgrund des individuellen Körperbaus, den jeder von uns mitbringt. Hinzu kommt, dass wir nicht jeden Tag gleich sind, mental wie auch körperlich. Wenn wir praktizieren, liegt es an uns, unsere Limits zu erkennen und achtsam/aufmerksam zu üben, um uns nicht zu über- oder unterfordern.

    Jeder übt für sich

    Hierin liegt oft auch die Herausforderung, wenn wir nicht für uns, sondern für andere, üben. Dies gilt beispielsweise, wenn wir für Instagram-Likes uns in besonders schwierige Haltungen zwängen, oder wenn wir in einer Klasse mehr auf die anderen achten als auf uns selbst, um uns mit den anderen vergleichen.

    Gerade aber, wenn ich in meiner Praxis bei mir bleiben kann, komme ich in den Genuss, mich zu spüren und mich beobachten zu können.

    Wir können dann in schwierigen Asanas lernen, unseren Geist zu beobachten: wie er uns glauben lassen möchte, wir könnten das nicht, es sei zu schwer, zu anstrengend, die Muskeln brennen… und dann können wir uns klar machen, dass wir im Kern unseres Wesens nicht der Denker unserer Gedanken sind.

    Ich bin nicht der Denker meiner Gedanken

    Unser Geist, der uns ununterbrochen mit Geschichten über uns und unsere Umwelt füttert, entspringt nicht unserem Innersten, sondern er ist eine Sammlung von Prägungen, Erzählungen, Aufgeschnapptem, Wissen, Halbwissen und Nichtwissen. Und die meiste Zeit sind es negative Geschichten über uns. Unser Geist, unsere Gedanken, das sind jedoch nicht wir selbst, nicht der Kern unseres Selbst. Daher ist es auch nicht notwendig, dieser Stimme in uns zuviel Gewicht beizumessen. Spannender kann es sein, die Gedanken einfach mal zu beobachten und – wie ein Aussenstehender es tun würde – sich auch mal zu fragen, wie kommt mein Geist zu diesen Gedanken.

    Wer sich näher mit diesem zentralen Gedanken auseinandersetzen möchte, sollte sich mit Eckart Tolle („Ich bin nicht meine Gedanken“) und seinen Büchern vertraut machen.

    Fazit

    Jeder kann – auch mit Hilfe von Yoga – wieder den Weg zu sich selbst finden. Die Stille als Gegenspieler zu unseren destruktiven Gedanken ist wohltuend und unterstützt dabei, in Kontakt mit dem Selbst zu kommen, das wir im Alltag fast vergessen haben.

    Es gibt also noch so viel zu entdecken…

  • Modern Yoga – Woher kommt unser heutiger Yoga?

    Modern Yoga – Woher kommt unser heutiger Yoga?

    Yoga, wie wir ihn in der westlichen Welt heute kennen, ist vor allem eine moderne Variante von Hatha Yoga, d.h. eine Asana-Praxis in der unterschiedliche Körperhaltungen, sogenannte „Āsana“ eingenommen werden. Die populärsten Haltungen sind unter anderem der Baum („Vrkshasana“) oder der herabschauende Hund („Adho Mukha Shvanasana“), deren Darstellung nahezu jedes Kind heutzutage mit dem Begriff „Yoga“ in Verbindung bringt.

    Vom Sitz zum Kopfstand

    Interessanterweise bezeichnet im Kontext der original Schriften, beispielsweise in der Buddhacarita oder den Yoga Sutras von Pātañjali, der Begriff „Āsana“ (nachfolgend vereinfacht als „Asana“ geschrieben) meist eine bestimmte Körperhaltung, nämlich den Sitz oder eine Art zu sitzen. Das Wort selbst hat „ās“ als Wurzel, welches als “sitzen”, aber auch als “verweilen” übersetzt werden kann. 

    Ältere Yogastile und -schulen beschäftigten sich weitaus weniger mit dem Körper, sondern vielmehr mit dem Geist und, vereinfacht gesagt, mit der Möglichkeiten diesen zur Ruhe zu bringen. So ist die Praxis, die in den Yoga Sutras von Pātañjali beschrieben wird, viel näher an einer Askese als an einer körperbetonten Praxis, wie sie uns heute geläufig ist.

    Aber schon vor den Anfängen des modernen Yoga entwickelten sich vor mehreren hundert Jahren unterschiedliche Körperhaltungen, zunächst als Varianten eines Sitzes, wie beispielsweise der Lotussitz („Padmāsana“) oder der Heldensitz, die in der Goraksha Samhita einer der ältesten Schriften des Hatha Yoga auftauchen.

    Dieser Text wird heute etwa auf 900 bis 1.000 n. Chr. datiert und enthielt insgesamt 84 Haltungen. Hinzu kamen die sitzende Vorwärtsbeuge (Pashimottanasana), der Stock („Ddaṇḍāsana“) oder oder auch die Abschlussstellung fast jeder heutigen Yoga-Klasse, „Savāsana“. Diese Haltungen und einige mehr sind später in den bekanntesten Text des Hatha Yoga, der Haṭha Yoga Pradīpikā (15. Jahrhundert n. Chr., nachfolgend vereinfacht „Hathapradipika“), eingeflossen, die die Bedeutung der 84 Haltungen nochmals bestätigt hat.

    Uns bekannte Haltungen wie die Kobra („Bhunjangasana“), der Fisch („Matsyasana“), das Kamel („Ustrasana“) oder der Pfau („Mayurasana“) finden sich später in der Gheranda Samhita (im 17. Jhd. n. Chr.). Der berühmte Kopfstand („Shirshasana“) wurde indes nicht mit seinem heute geläufigen Namen in den alten Schriften des Hatha Yoga beschrieben, sondern wie beispielsweise in der Gheranda Samhita: „Man stelle den Kopf auf die Erde und ebenso das Händepaar, und verweile standhaft mit hochgerichteten Beinen. Dies ist Viparita Karani.“

    Ist Hatha Yoga gleich Hatha Yoga?

    Der Begriff Hatha Yoga, wie er oft heute für Studioklassen verwendet wird, bezeichnet in der Regel eine Yogasana-Praxis, in der die einzelnen Asanas mehrere Atemzüge gehalten werden und bei der diese nicht notwendigerweise miteinander verbunden sein müssen (im Unterschied zum Vinyasa-Yoga). Diese Verwendung des Begriffs ist jedoch nicht gleichbedeutend für den Hatha Yoga gemäß den alten Schriften.

    Letztere beschreiben neben den Asanas, auch Pranayama-Übungen (Atemtechniken), die Verwendung von Mudras (symbolische Handgesten Handbewegung, Handstellung), von Bandhas (Muskelverschlüsse zur Lenkung von Prada im Körper), Krya-Anwendungen (Reinigungsübungen) und natürlich Meditationstechniken.

    Yogaphilosophie nach Patanjali

    Während viele Yogaklassen insbesondere in Fitness-Studios heutzutage ihren Fokus auf die Körperarbeit lenken, findet sich in Yogastudios oft auch ein Rahmen, der die Yogaphilosophie einbindet. Die im modernen Yoga wichtigste Grundlage für die dabei vermittelten Bilder bilden dabei die Yoga Sutras von Patanjali. Diese Schrift hat erst mehrere hundert Jahre nach ihrer vermuteten Entstehung (ca. 2. bis 5. Jhd. n. Chr.) etwa um 1.000 n. Chr. viele andere zu der Zeit in der Entwicklung des Yoga bedeutendere oder in Indien geläufigere Schriften abgelöst. Heute wird Patanjali in vielen Teilen Indiens als Gott des Yoga verehrt und die Yoga Sutras gelten als Standardwerk für Yogalehrer-Ausbildungen in der ganzen Welt.

    Gegensätze ziehen sich an

    Insgesamt wird unsere Praxis in der modernen Welt somit von zwei an sich sehr gegensätzlichen Ansätzen des Yoga geprägt. Auf der einen Seite eine Schrift, die sich primär an Asketen wendete, die sich durch einen Rückzug von allem Weltlichen und unter Überwindung ihres Körpers dem achtgliedrigen Weg mit dem Ziel des Samadhi (vollständige Ruhe des Geistes) widmen sollten, und auf der anderen Seite ein deutlich jüngeres Konzept, in dem der Körper eine wichtige Rolle bei der Praxis spielt, um Energien im Körper (Prana) zu lenken.

    Fazit

    Schon aus diesem sehr knappen Abriss der Geschichte und der Ursprünge unseres modernen Yogas wird klar, wie sich der Yoga immer und immer wieder verändert hat. Wie unterschiedliche Traditionen sich an unterschiedlichen Empfängern ausrichteten und voneinander abweichende Mittel zur Erreichung verschiedener Ziele einsetzten. Die Schwerpunkte in der Praxis haben sich im Laufe der Jahrhunderte also immer wieder verschoben. Es gibt ihn folglich nicht, den einen „richtigen“, klassischen oder traditionellen Yoga, sondern gerade in dieser Verwandlungsfähigkeit ist vielleicht eine Stärke zu sehen. Denn wie sich die Zeiten verändern, entwickeln sich auch die Bedürfnisse der Menschen weiter. Heute ist das Thema „Stress“, der nicht mehr an bestimmte (reale) Gefahrensituationen geknüpft ist, sondern bei vielen Menschen auf einem dauerhaft hohen Pegel verbleibt, eine der großen gesellschaftlichen Herausforderungen. So verwundert es auch nicht, dass der moderne Yoga nicht primär einen spirituellen Charakter aufweist, sondern als Mittel zur Stressreduktion bekannt ist.

  • Yoga in der Welt

    Yoga in der Welt

    Yoga heute

    Heutzutage schätzt man die Zahl der praktizierenden Yogis und Yoginis auf etwa 250 bis 300 Millionen, darunter 15 bis 35 Millionen in den USA und 2,5 bis 3 Millionen allein in Frankreich (Quelle: Marie Kock: „Yoga une historie-monde“ ISBN: 978-2-266-31600-2). Die Zahl ist eine sehr grobe Schätzung, da sich Yoga kaum kategorisieren lässt.

    In der Praxis gibt es Yoga als Sportübung, wie es beispielsweise in Sportvereinen und Fitness-Studios angeboten wird. Daneben fallen aber auch Meditationsmethoden, Andachtsübungen, das Chanten von Mantren (Khirtan) und vieles mehr unter das System Yoga. So ungenau die genannten Zahl an weltweit praktizierenden Yogis und Yoginis auch sein mag, so klar ist zumindest, dass diese ständig wächst. Yoga boomt. Insbesondere in der westlichen Welt.

    Blickt man nach Indien, erkennt man, dass das westliche moderne Yoga aus den USA und Europa in seinem Ursprungsland ebenfalls die Praxis verändert und prägt. Selbst die Aussprache des Sanskrit-Begriffs YOGA, bei dem das „a“ eher lautlos ist, hat sich zum westlich ausgesprochenen YogA (mit deutlichem „a“ am Ende) gewandelt – so ist der moderne Yoga in Indien quasi ein Re-Import.

    Der moderne Yoga

    Aber auch das moderne Yoga hat seine Anfänge in Indien genommen, wo charismatische Lehrer, sogenannten Gurus („Guru“bedeutet im Sanskrit und anderen aus dem Sanskrit abgeleiteten Sprachen wie Hindi, Bengali und Gujarati „Lehrer“) Yoga als nationales Kulturgut gefördert und in den wohlhabenderen Westen exportiert haben.

    Der Yoga wurde hierzu zunächst „reingewaschen“ von allem Okkultem und Anrüchigen, das den Yoga und den „Yogi“ in einigen Epochen umgeben hatte. In diesem Zusammenhang lohnt sich die nähere Auseinandersetzung mit der indischen Geschichte, um auch die unterschiedlichen Epochen des Yoga oder vielmehr der unterschiedlichen Yoga-Traditionslinien im Kontext der Geschichte besser verstehen zu können.

    Betrachtet man den modernen Yoga und seine unterschiedlichen Stile, wie Vinyasa Yoga, Ashtanga Yoga und Iyengar Yoga, so wird klar, dass bei dem Exportschlager Yoga vor allem die körperliche Asana-Praxis im Vordergrund stand.

    Ausblick

    Neben der spannenden Geschichte des modernen Yoga ist auch die Auseinandersetzung mit der weiter zurückliegenden Geschichte des Yoga lohnenswert. Das Gebiet des Yoga ist, und das wird schnell klar, ist groß genug, dass man ein Leben damit verbringen kann, sich hiermit zu beschäftigen, ohne jemals alles über Yoga gelesen, entdeckt oder durchdrungen zu haben.

    Für einen ersten Überblick empfehle ich für Interessierte und Frankophile:

    https://www.radiofrance.fr/franceculture/podcasts/lsd-la-serie-documentaire/le-yoga-a-la-conquete-de-l-ouest-1787466