OM – ein Klang im Einklang mit dem Universum

OM oder auch AUM ist vermutlich die bekannteste Silbe der Welt, die in vielen spirituellen Traditionen, besonders im Hinduismus, Buddhismus und Jainismus, eine zentrale Rolle spielt. Sie wird als universeller Klang betrachtet und ist in vielen Kulturen bekannt. Aber was bedeutet „OM“ eigentlich? Und woher stammt dieser selbst meinen Kindern bekannte Klang, der mit Ruhe, Meditation und Spiritualität in Verbindung gebracht wird?

Ursprünge des OM-Klangs

Erstmalig erwähnt wird OM in den alten vedischen Schriften Indiens hat, die vor über 3.000 Jahren entstanden sind. Es gilt als der „Ursprungsklang“ des Universums – quasi der Klang, aus dem alles andere hervorgegangen ist.

In den Upanishaden, einer Sammlung philosophischer Texte (die vermutlich im ersten Jahrtausend v. Chr. entstanden sind), wird OM oft als der Klang beschrieben, der die Essenz des gesamten Daseins repräsentiert.

Die Unpanishaden beschäftigen sich im Kern mit der Frage, was den Einzelnen mit allem, das ist, verbindet. Die Antwort lautet Brahman (die Einheit aller Dinge) bzw. Atman (die Einheit, die jeder einzelne von uns in sich trägt), unsere Essenz, die nicht geboren wird und nicht mit unserem Tod verschwindet. Die einzelnen Upanishaden stellen unterschiedliche Perspektiven auf dieses zentrale Thema dar und sind beispielsweise als Lehrer-Schüler-Dialog gestaltet.

Die sogenannte Mandukya Upanishad beschäftigt sich mit OM und sagt im Kern:

OM ist nicht nur ein Klang, sondern ein Symbol für die gesamte Realität. Wenn man OM versteht und meditiert, kann man die verschiedenen Schichten des Bewusstseins durchdringen und zum Turiya-Zustand gelangen – der Erkenntnis, dass alles eins ist. Sie betont, dass das Selbst (Atman) nicht von Brahman getrennt ist; die Trennung ist eine Illusion.

Ein berühmter Vers (Vers 1) lautet:

Om, dieses Wort ist das ganze Universum. Was war, was ist und was sein wird – alles ist Om. Und was jenseits der drei Zeiten liegt, ist ebenfalls Om.“

OM oder AUM – ein spiritueller Vierklang

A-U-M und die Bedeutung davon

In der Mandukya Upanishad wird OM zunächst in seine drei klanglichen Bestandteile (A-U-M) zerlegt.

  1. A – Vaishvanara (Wachzustand)
    Das „A“ steht für den Wachzustand, in dem wir die äußere Welt mit unseren Sinnen wahrnehmen. Es ist der Zustand, in dem wir normalerweise den ganzen Tag verbringen – denken, handeln, die physische Welt erleben. Das Bewusstsein ist hier nach außen gerichtet.
  2. U – Taijasa (Traumzustand)
    Das „U“ repräsentiert den Traumzustand, wo das Bewusstsein nach innen gerichtet ist. Wir erleben eine Traumwelt, die nicht physisch ist, sondern aus Erinnerungen, Phantasien und dem Unterbewusstsein besteht. Es ist eine Art Zwischenzustand zwischen der äußeren und der tiefsten Ebene.
  3. M – Prajna (Tiefschlafzustand)
    Das „M“ steht für den Tiefschlaf, wo es keine Träume und keine Wahrnehmung der Außenwelt gibt. Es ist ein Zustand tiefer Ruhe und Einheit, aber das Bewusstsein ist „unbewusst“ – es gibt keine dualistischen Erfahrungen wie Subjekt und Objekt. Die Upanishad beschreibt diesen Zustand als eine Art „Samen“ für die anderen Zustände.

Die beiden Laute „A“ und „U“ gleichen sich beim Sprechen aneinander an und erzeugen den gemeinsamen Laut „O“, was erklärt, warum OM bekannter ist als der zerlegte Dreiklang A-U-M.

Das Vierte symbolisiert die Einheit

Aber darin erschöpft sich das OM nicht. Traditionell und auch in heutigen Yogaklassen wird nach dem Chanten von OM in Stille gesessen. Die Stille dient dem Nachspüren der Schwingungen der erzeugten Energie, die aus der Stille kam und wieder in die Stille entschwindet. Und entsprechend ist das OM erst durch den vierten Klang – der Stille – vollständig:

  1. Die Stille nach OM – Turiya (der vierte Zustand)
    Das ist der Zustand jenseits von A, U und M – die Stille, die nach dem Chanten von OM folgt. Turiya ist der transzendente Zustand, das reine Bewusstsein, das allem zugrunde liegt. Es ist weder Wachen, Träumen noch Tiefschlaf, sondern das wahre Selbst (Atman), das mit Brahman eins ist. Turiya ist das Ziel spiritueller Erkenntnis: die Erfahrung der Nicht-Dualität.

Exkurs: Die Nicht-Dualität

Die Nicht-Dualität oder auch Non-Duailtät ist ein philosophisches Konzept, das ganze Yogaströmungen prägte und prägt. Aber auch im Zen-Buddhismus wird die Illusion der Trennung zwischen Subjekt und Objekt hinterfragt, z. B. durch Koans. Christliche Mystiker wie Eckhart Tolle oder islamische Sufis wie Rumi sprechen von einer Einheit mit dem Göttlichen, die duale Grenzen überwindet. In der modernen Philosophie kommen Denker wie Spinoza oder sogar Quantenphysiker, die über die Verbundenheit aller Dinge nachdenken, dem Konzept der Nicht-Dualität manchmal sehr nahe.

Nicht-Dualität im Unterschied zur Dualität

Unsere wahrnehmbare Realität kennt vor allem die Dualität wie „Ich“ und „Du“, „Subjekt“ und „Objekt“, „Selbst“ und „Welt“.

Gemäß der Nicht-Dualität (auf Sanskrit „Advaita“, wörtlich „nicht- zwei“) gibt es letztlich keine grundlegende Trennung zwischen Dingen. Stattdessen gibt es nur eine einzige, ungeteilte Realität, also „Du“ und „ich“ wir sind eins, das „Selbst“ ist Teil von „Allem“ und die Trennung zwischen dem Individuum und der Welt existiert nicht. Im Kontext der Mandukya Upanishad ist diese einzige Realität das reine Bewusstsein, das Brahman oder Atman genannt wird. Alles, was wir als getrennt wahrnehmen (Dualität), ist eine Illusion (Maya).

Wie nähere ich mich der Nicht-Dualität

Um das für uns zunächst ungewohnte Konzept der Nicht-Dualität zu verstehen, hilft uns das Bild der Wellen im Ozean: Die Wellen sind voneinander unterscheidbar und voneinander abgegrenzt, aber zugleich sind sie alle Wasser und als Teil des Ozeans miteinander verbunden. Nicht-Dualität sagt: Alles, was existiert, ist im Kern dasselbe – das eine Bewusstsein, das sich in verschiedenen Formen zeigt.

Nicht-Dualität ist nicht nur eine Theorie oder ein Konzept, sondern etwas, das man erfahren kann – vor allem durch Meditation, Selbstreflexion („Wer bin ich?“) und das Studium von Schriften hierzu. In der Praxis geht’s darum, die Identifikation mit dem Ego, dem Körper und dem Geist loszulassen.

Wenn du zum Beispiel OM chantest (singst) und in die Stille danach eintauchst, wie es die Mandukya Upanishad vorschlägt, kannst du einen Moment erleben, wo die Grenzen zwischen „Ich“ und „Welt“ verschwimmen. Das ist ein Vorgeschmack auf Turiya.

Weitere Symbolik und Bedeutung von OM

Religiöse Bedeutung im Hinduismus

Das OM bzw. AUM wird in der indischen Kultur regelmäßig auch mit den drei höchsten Göttern (Trimurti) in Verbindung gebracht, nämlich:

Brahma, dem Gott der Schöpfung (symbolisiert durch das A),

Vishnu, dem Gott der Bewahrung (symbolisiert durch das U), und

Shiva, dem Gott der Zerstörung (symbolisiert durch das M).

Diese Symbolik entspricht dem ersten Vers der Mandukya Upanishade, wonach OM alles ist, was war, ist und sein wird.

Das Schriftzeichen

Das OM-Symbol (ॐ in Devanagari-Schrift) ist genauso bekannt wie der Klang. Es wird oft in Tempeln, auf Schmuck oder in Kunstwerken dargestellt.

Die Form des Symbols hat auch eine tiefere Bedeutung:

  • Die drei Kurven stehen für die drei Zustände des Bewusstseins (Wachen, Träumen, Tiefschlaf).
  • Der Punkt oben symbolisiert das Absolute, das jenseits dieser Zustände liegt.
  • Die Sichel darunter repräsentiert die Illusion (Maya), die uns vom Absoluten trennt.

Wissenschaftlicher Aspekt

Interessant ist, dass es auch moderne Studien1 gibt, die sich mit den Effekten des OM-Chantens beschäftigen.

Das Singen soll das parasympathische Nervensystem aktivieren, was Stress reduziert, den Blutdruck senkt und die Konzentration fördert. Die Vibrationen beim Singen von OM sollen außerdem das Gehirn stimulieren – es gibt sogar Studien mit MRT-Scans, die zeigen, dass bestimmte Hirnareale aktiviert werden.

Kulturelle Präsenz heute

OM hat sich über die Jahrhunderte auch in die Popkultur geschlichen. Du findest es auf T-Shirts, in Songs, Filmen oder als Tattoo. Es ist für viele ein Symbol für Spiritualität, Frieden und Achtsamkeit, auch wenn sie nicht direkt mit den Traditionen verbunden sind.

Was können wir hieraus für uns mitnehmen

Man muss nicht an Gott glauben oder spirituell sein, um sich mit dem Konzept der Nicht-Dualität zu beschäftigen.

Nicht-Dualität kann schwer zu verstehen sein, weil unser Geist auf Dualität ausgelegt ist – wir denken in Kategorien wie „Ich vs. Welt“. Die Auseinandersetzung mit dem Konzept von Nicht-Dualität kann dein Weltbild umkrempeln. Sie lädt dich ein, die Dinge nicht als getrennt zu sehen, sondern als Ausdruck eines Ganzen.

Auf diese Weise kann die Nicht-Dualität Ruhe ins Leben bringen, weil Konflikte , negative Gefühle gegenüber anderen und Ängste oft aus der Idee der Trennung kommen. In der Praxis kann zudem das eigene Mitgefühl gefördert werden – wenn alles eins ist, wie könntest du jemandem schaden, ohne dir selbst zu schaden? Schließlich kann aus der Auseinandersetzung mit dem EINS-Sein mit allem auch der Wunsch nach einem nachhaltigeren Umgang mit der Umwelt entstehen.

OM kann Dich dabei unterstützen, Dich spielerisch mit diesem Konzept auseinanderzusetzen. OM kann aber auch einfach dazu dienen, uns zu Beginn einer Yogapraxis oder in anderen Situationen zu zentrieren, zu erden. So wirkt das Chanten von OM oder die Konzentration darauf, wie jedes andere Mantra, auf unseren Geist beruhigend, indem es ihn fokussiert und beschäftigt hält. OM hat dabei den Charme der Einfachheit, es ist positiv besetzt und auch für Atheisten oder Angehörige anderer Religionen zugänglich.

Falls Du es mal ausprobieren willst: Man spricht es eher langgezogen aus, wie „Aaaauuuummmm“. Der Ton beginnt tief im Bauch, geht dann in den Brustbereich über und endet im Kopf. Am besten in einer ruhigen Umgebung, mit geschlossenen Augen – es kann auch schon beim ersten Ausprobieren einen spürbaren Effekt haben.

Und einfach zum Genießen: Sea of OMS by Morley.

  1. Studie zur Stressreduktion und Gehirnaktivität (2011)
    Amin, N., Foa, E. B., & Coles, M. E. (2011). Neural basis of the effects of chanting „Om“ on stress reduction: An fMRI study. Journal of Neuroscience Research, 89(5), 712-719.

    Effekte auf das parasympathische Nervensystem (2018)
    Gururaja, D., Harano, K., & Toyotomi, I. (2018). Physiological effects of „Om“ chanting on autonomic nervous system activity: A pilot study. International Journal of Yoga, 11(2), 108-114.

    Einfluss auf Blutdruck und Stickstoffmonoxid (2022)
    Sharma, R., Gupta, N., & Bijlani, R. L. (2022). Effects of „Om“ chanting on blood pressure and nitric oxide levels in hypertensive patients. Journal of Alternative and Complementary Medicine, 28(6), 543-550.

    Psychologische Effekte und Achtsamkeit (2023)
    Kumar, S., Prakash, R., & Sharma, P. (2023). Impact of „Om“ chanting on stress and mindfulness: A randomized controlled trial. Mindfulness, 14(3), 321-330.

    Kognitive Vorteile bei Schulkindern (2022)
    Rao, M., Srinivasan, T. M., & Nagendra, H. R. (2022). Enhancing working memory and attention in adolescents through Mind Sound Resonance Technique (MSRT) with „Om“ chanting. Journal of Cognitive Enhancement, 6(4), 412-420.
    ↩︎

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