Yoga, wie wir ihn in der westlichen Welt heute kennen, ist vor allem eine moderne Variante von Hatha Yoga, d.h. eine Asana-Praxis in der unterschiedliche Körperhaltungen, sogenannte „Āsana“ eingenommen werden. Die populärsten Haltungen sind unter anderem der Baum („Vrkshasana“) oder der herabschauende Hund („Adho Mukha Shvanasana“), deren Darstellung nahezu jedes Kind heutzutage mit dem Begriff „Yoga“ in Verbindung bringt.
Vom Sitz zum Kopfstand
Interessanterweise bezeichnet im Kontext der original Schriften, beispielsweise in der Buddhacarita oder den Yoga Sutras von Pātañjali, der Begriff „Āsana“ (nachfolgend vereinfacht als „Asana“ geschrieben) meist eine bestimmte Körperhaltung, nämlich den Sitz oder eine Art zu sitzen. Das Wort selbst hat „ās“ als Wurzel, welches als “sitzen”, aber auch als “verweilen” übersetzt werden kann.
Ältere Yogastile und -schulen beschäftigten sich weitaus weniger mit dem Körper, sondern vielmehr mit dem Geist und, vereinfacht gesagt, mit der Möglichkeiten diesen zur Ruhe zu bringen. So ist die Praxis, die in den Yoga Sutras von Pātañjali beschrieben wird, viel näher an einer Askese als an einer körperbetonten Praxis, wie sie uns heute geläufig ist.
Aber schon vor den Anfängen des modernen Yoga entwickelten sich vor mehreren hundert Jahren unterschiedliche Körperhaltungen, zunächst als Varianten eines Sitzes, wie beispielsweise der Lotussitz („Padmāsana“) oder der Heldensitz, die in der Goraksha Samhita einer der ältesten Schriften des Hatha Yoga auftauchen.
Dieser Text wird heute etwa auf 900 bis 1.000 n. Chr. datiert und enthielt insgesamt 84 Haltungen. Hinzu kamen der Stock („Ddaṇḍāsana“) oder oder auch die Abschlussstellung fast jeder heutigen Yoga-Klasse, „Savāsana“. Diese Haltungen und einige mehr sind später in den bekanntesten Text des Hatha Yoga, der Haṭha Yoga Pradīpikā (15. Jahrhundert n. Chr., nachfolgend vereinfacht „Hathapradipika“), eingeflossen, die die Bedeutung der 84 Haltungen nochmals bestätigt hat. Uns bekannte Haltungen wie die Kobra („Bhunjangasana“), der Fisch („Matsyasana“), das Kamel („Ustrasana“) oder der Pfau („Mayurasana“) finden sich später in der Gheranda Samhita (im 17. Jhd. n. Chr.). Der berühmte Kopfstand („Shirshasana“) wurde indes nicht mit seinem heute geläufigen Namen in den alten Schriften des Hatha Yoga beschrieben, sondern wie beispielsweise in der Gheranda Samhita: „Man stelle den Kopf auf die Erde und ebenso das Händepaar, und verweile standhaft mit hochgerichteten Beinen. Dies ist Viparita Karani.“
Ist Hatha Yoga gleich Hatha Yoga?
Der Begriff Hatha Yoga, wie er oft heute für Studioklassen verwendet wird, bezeichnet in der Regel eine Yogasana-Praxis, in der die einzelnen Asanas mehrere Atemzüge gehalten werden und bei der diese nicht notwendigerweise miteinander verbunden sein müssen (im Unterschied zum Vinyasa-Yoga). Diese Verwendung des Begriffs ist jedoch nicht gleichbedeutend für den Hatha Yoga gemäß den alten Schriften.
Letztere beschreiben neben den Asanas, auch Pranayama-Übungen (Atemtechniken), die Verwendung von Mudras (symbolische Handgesten Handbewegung, Handstellung), von Bandhas (Muskelverschlüsse zur Lenkung von Prada im Körper), Krya-Anwendungen (Reinigungsübungen) und natürlich Meditationstechniken.
Yogaphilosophie nach Patanjali
Während viele Yogaklassen insbesondere in Fitness-Studios heutzutage ihren Fokus auf die Körperarbeit lenken, findet sich in Yogastudios oft auch ein Rahmen, der die Yogaphilosophie einbindet. Die im modernen Yoga wichtigste Grundlage für die dabei vermittelten Bilder bilden dabei die Yoga Sutras von Patanjali. Diese Schrift hat erst mehrere hundert Jahre nach ihrer vermuteten Entstehung (ca. 2. bis 5. Jhd. n. Chr.) etwa um 1.000 n. Chr. viele andere zu der Zeit in der Entwicklung des Yoga bedeutendere oder in Indien geläufigere Schriften abgelöst. Heute wird Patanjali in vielen Teilen Indiens als Gott des Yoga verehrt und die Yoga Sutras gelten als Standardwerk für Yogalehrer-Ausbildungen in der ganzen Welt.
Gegensätze ziehen sich an
Insgesamt wird unsere Praxis in der modernen Welt somit von zwei an sich sehr gegensätzlichen Ansätzen des Yoga geprägt. Auf der einen Seite eine Schrift, die sich primär an Asketen wendete, die sich durch einen Rückzug von allem Weltlichen und unter Überwindung ihres Körpers dem achtgliedrigen Weg mit dem Ziel des Samadhi (vollständige Ruhe des Geistes) widmen sollten, und auf der anderen Seite ein deutlich jüngeres Konzept, in dem Körper eine wichtige Rolle bei der Praxis spielt, um Energien im Körper (Prana) zu lenken.
Fazit
Schon aus diesem sehr knappen Abriss der Geschichte und der Ursprünge unseres modernen Yogas wird klar, wie sich der Yoga immer und immer wieder verändert hat. Wie unterschiedliche Traditionen sich an unterschiedlichen Empfängern ausrichteten und voneinander abweichende Mittel zur Erreichung verschiedener Ziele einsetzten. Die Schwerpunkte in der Praxis haben sich im Laufe der Jahrhunderte also immer wieder verschoben. Es gibt ihn folglich nicht, den einen „richtigen“, klassischen oder traditionellen Yoga, sondern gerade in dieser Verwandlungsfähigkeit ist vielleicht eine Stärke zu sehen. Denn wie sich die Zeiten verändern, entwickeln sich auch die Bedürfnisse der Menschen weiter. Heute ist das Thema „Stress“, der nicht mehr an bestimmte (reale) Gefahrensituationen geknüpft ist, sondern bei vielen Menschen auf einem dauerhaft hohen Pegel verbleibt, eine der großen gesellschaftlichen Herausforderungen. So verwundert es auch nicht, dass der moderne Yoga nicht primär einen spirituellen Charakter aufweist, sondern als Mittel zur Stressreduktion bekannt ist.
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